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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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war – denn ich fragte mich häufig, wer ist der Starke? Bin ich es noch? Ich suchte nach Beweisen und fand sie auch.
    Ali Samimi machte uns eine Erbsensuppe heiß, und die ganze Zeit war die Stimme seines Todes deutlich zu vernehmen. Ich dachte, ich sei sehr hungrig, aber ich musste entdecken, dass dem nicht so war. Dennoch blieben wir den ganzen Abend mit ihm zusammen, damit er nicht vor Kälte allein erfrieren würde. Danach vergingen Wochen, sogar Monate, und Herr Ali Samimi starb nicht, alles war völlig normal. Ich wollte fast schon, dass er starb, und ich war enttäuscht, dass nichts passierte, denn die Erwartung schmerzte. Er hatte uns vorbereitet, ich hatte mich damit abgefunden, und nun wollte ich es hinter mir haben, wollte wissen, dass auch nach seinem Tod bei uns alles wunderbar weitergehen würde, ohne ihn.
    Er starb am Frühlingsende. Meine Mutter half mir, ein großes Begräbnis für ihn zu organisieren mit einer Prozession respektabler, schwarzgekleideter Herren, einer riesigen Trommel, einem Chor und einer bunten Lichterkette, wie er es wirklich verdient hatte.
    Nilufar würde kein Begräbnis mit schwarzgekleideten Herren haben, die eine mit dunklem Stoff bedeckte Bahre trugen. Keine große Trommel würde für sie geschlagen werden. Und auch kein Chor und keine bunten Lichter und keine Band in einem riesigen Tanzclub, wie es so gut zu ihr gepasst hätte. Nichts würde sie haben. Ein kleines, schäbiges Loch würden sie für sie ausheben, lustlos, vielleicht sogar mit Verachtung, Hass und Ekel. Sie würden den kümmerlichen Leichnam dreimal schütteln und in die Erde werfen, den Kopf voraus, dann den Rest, und auch die, die dachten, sie würden sich immer und ewig an sie erinnern, würden sich immer weniger erinnern, bis sie sie vergessen hätten.
    Zahra und Frau Safureh betrachteten mich mit zusammengekniffenen Augen und schmalen Lippen, erfahren, gaben mir zu verstehen: Kein Mensch beschuldigt dich, alles in Ordnung, Ehemänner sterben, Liebe stirbt, das ist der Lauf der Menschheit, du hast Zeit zu genesen, alle Zeit der Welt, und letzten Endes wird es schön sein, sich zu erinnern. Ich stand vor ihr, ein letzter Blick. Sie hing zusammengesunken, leicht schwebend in der Luft, und ich dachte nicht mehr an ihr Leiden oder daran, was sie alles versäumte – ich dachte an mich selbst.
    Der Morgen war im Handumdrehen vorüber. Es nahte der Mittag. Junge Soldaten eilten zu ihren Transportern, der Park leerte sich. Nur zwei alte Wächter wurden zurückgelassen, um den reglosen Kran und das Seil zu beaufsichtigen, das noch stundenlang leicht pendeln würde, für neugierige Zufallspassanten, die die Strafe für die Sünde noch nicht gesehen hatten. Wir drängten uns wieder zusammen in ein altes Taxi und fuhren zum Restaurant Nayeb am Kadsch-Platz. Die Frauen dachten, es sei besser zusammenzubleiben, denn was sollte man an einem solchen Tag schon anfangen? Sie dachten, dass Nilu sicher gewollt hätte, dass wir uns nicht der Trauer ergaben. Aber was spielt es noch für eine Rolle, was Nilu gewollt hätte? Doch Zahra beharrte darauf. «Wir machen eine Tradition daraus, wir werden uns jedes Jahr hier treffen, wenn der Frühling kommt, beim besten Kebab in der Stadt, über einer wunderbaren Tischdecke in beruhigender Pfirsichfarbe, neben den luxuriösen Wanduhren, mit den Obern in ihren Westen, Statuen, leiser Musik, stilvoll. Zu ihrem Gedenken. Es wird alles zu ihrem Andenken sein. So muss unsere Trauer aussehen», sagte sie, «wir werden uns hinsetzen und lächeln und die schönsten Geschichten über Nilufar aufrollen.»
    Wir setzten uns an einen Seitentisch, Weingläser wurden mit klarem Mineralwasser gefüllt. Blumendekorationen hellten die Tische auf, ruhige Beleuchtung und Kohlen im Kamin, die blaue Flammen emporzüngeln ließen. Wir saßen lange Zeit dort, aßen langsam. Doch keiner von uns vermochte zu reden. Ringsherum waren das Lachen der Gäste, müßige Plaudereien zu hören, und bei uns vernahm man kaum ein leises Klirren der Porzellanteller.
    Manchmal geschehen die Dinge nicht so, wie du sie gedacht oder gefühlt hast. Manchmal ist nichts in Ordnung, und manchmal wird nichts gut.

27
    Danach lebten wir weiter.

28
    Einst hatten wir einen demokratischen Ministerpräsidenten. Das Volk liebte ihn. Er kam immer im Bademantel zu den Sitzungen im Madschles, weinte, fiel in Ohnmacht, schlief vor den Kameras ein, er war dramatisch und ein Aufschneider. Er führte die Staatsgeschäfte von seinem Bett

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