Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
Familie zu schützen. Die Enkel. Um ihnen eine Chance zu geben, hier weiterzuleben. Er sagte sich von ihr los. Welche Wahl hatte er sonst?»
    «Es liegt ein kleiner Trost darin, es wenigstens zu wissen», seufzte Frau Safureh. «Ein geschlossenes Kapitel ohne nagende Fragezeichen.»
    «Wir werden eine Versammlung abhalten», verkündete Muhammad, «wir werden zu ihrem Andenken demonstrieren.»
    Ich ging in die Küche, allein, lehnte mich an das Spülbecken und versuchte zu weinen.
    Nilufar starb, weil sie glücklich war, und Babak verschwand, weil er traurig war. Nilufar dachte, sie sei geschützt, doch der Schutz war eine Illusion, ein Staat muss unberechenbar sein, sonst verbreitet er keinen Schrecken. Babak liebte die Menschen, doch er wusste, dass die Menschen ihn hassten, es war der stumme, unabänderliche Hass der Masse, was sollte man dazu noch sagen? Er wollte sein, was er war, so wie er geboren war, ein unmöglicher, ewig junger Babak, ein bloßes, pulsierendes Herz, das war nichts, was er beherrschen konnte. Nilufar wusste, wie weit sie den Bogen spannen konnte, sie beherrschte es, nicht über den Punkt hinauszuschießen, an dem es kein Zurück mehr gab. Sie tat es dennoch. Sie wollte ihre schöne, sexy Erinnerung hinterlassen und gehen. Also ließ sie die Erinnerung zurück. Und ging. Babak war traurig, aber dennoch lebendig und voller Freude. Nilufar strahlte Glück aus, aber sie wurde traurig aufgehängt.
    Muhammad hat die ganze Zeit recht gehabt, dachte ich, es besteht kein Grund, dass die Welt nicht untergehen sollte, es gibt keine Logik. Es gab ein Jahrhundert der Illusionen, ein knappes Jahrhundert aufgeklärten Denkens. Sogar das Böse bemühte sich, sich als aufgeklärt zu gerieren, was es neue Blüten treiben ließ. Für ein Jahrhundert war die absolute Freiheit die perfekte Lösung für alle Probleme, der Existenzzweck, wer betete sie nicht insgeheim an? Doch damit ist es vorbei. Sie versinkt schon, und weshalb sollte jemand dem Beachtung schenken? Vielleicht ist es besser, das Böse enthüllt sein Gesicht und steht uns direkt gegenüber, damit wir wissen, wer wir sind. In meinen Augen würde niemals ein so glühendes Feuer brennen wie das, das ich in den Pupillen des Zeremonienwächters im Dschamschidieh-Park sah, als er um den Kran herumhüpfte. Der Zeremonienwächter würde gewinnen.
    Frau Safureh suchte, auf BBC , CNN , die Stimme Amerikas in Persisch. Kein Bild, kein Wort, keine Website, die von Nilufar Chalidian gehört hätte. Wie konnte das sein? Wie war es möglich, sich damit abzufinden?
    «Nun, uns wird es nicht mehr vergönnt sein, glücklich zu sein», schnaufte Zahra aus den Tiefen ihrer Brust.
    Amir stellte sich neben mich. Und auch Muhammad trat näher. «Ich kann dich rausschmuggeln, Kami, mein Freund, wir haben Leute für solche Sachen, es ist nicht gut für dich, in diesem Land zu bleiben.» Das sagte er und heftete mitleidig seinen Blick auf mich.
    «Befindet sich Kami in unmittelbarer Gefahr?», fragte Zahra. «Wie lautet die Anklage?» Und es klang ganz natürlich.
    «Man kann nie wissen, Frau Chazuri», entschuldigte sich Muhammad. «Aber mehr als die Polizei beunruhigt mich Kami. Verlassen Sie sich auf mich, ich kann die erkennen, für die es nicht gesund ist, jetzt hier zu leben, denn es ist nichts zu machen, nicht alle sind stark genug für dieses Spiel.»
    «Nein, danke», hielt ich ihn auf, «ich bleibe.»
    Frau Safureh durchquerte mit wenigen Schritten den Salon, die Augen neugierig aufgerissen. Sie packte Muhammad ungehemmt am Ärmel, drückte ihm beinahe ihre kühnen Lippen auf und fragte kaltblütig: «Sag mal, so ganz nebenbei, junger Mann, wie genau holt ihr Leute hier raus? Und wohin eigentlich?»

30
    So kam es, dass wir noch in der gleichen Nacht das Leben unserer undurchsichtigen und eigenwilligen alten Dame in zwei alte Koffer packten, die außer einem kurzen Besuch des al-Hamidia-Markts in Damaskus noch nie etwas von der Welt gesehen hatten. Wir packten sie mit ihr, denn wie viele Gelegenheiten, ihre Träume zu verwirklichen, hatte eine alte Frau wie sie noch, und welches Recht hatten Zahra und ich schon, sie aufzuhalten, nur weil es für uns etwas weniger leicht war ohne sie? Das Leben zerrann uns zwischen den Fingern und auch das Herz, doch Frau Safureh hatte anscheinend noch ihre letzte Chance auf ein gutes Ende. Alles, worum sie je für sich gebeten hatte, war ein gutes Ende. Schon seit Jahren übte sie sich darin; lernte die Namen von Hauptstädten,

Weitere Kostenlose Bücher