Der geheime Basar
blickte er mich an und schwieg. Er zog jedes Mal die Augenbrauen hoch und ließ den Kopf hängen, wenn ich den Blick erwiderte. Als fühlte er sich selbst schuldig oder fürchtete, ich würde einen Feind in ihm sehen. Aber ich war so überlastet mit Gefühlen, dass ich nichts mehr fühlte. Auch keine Wut. Nur den Schatten des Krans spürte ich, wie er zwischen meinen Augen von einer Seite zur anderen schwebte, rüttelte und klopfte im Innern meines Hirns.
Um sechs Uhr abends erklang ein müdes Klopfen an der Tür. Vielleicht waren es die Gorillas der Basidschis, es war mir egal, sollten sie mich über den Boden schleifen, mir die Rippen brechen und mich zu Tode prügeln. Frau Safureh machte auf. Muhammad trat zögernd ein, entschuldigte sich für seine Machtlosigkeit. Nicht im Namen des Untergrunds, nur in seinem eigenen Namen. Letztendlich war er ein schwacher, verträumter Junge, wieso sollte ich von ihm erwarten, das Durcheinander auf der Welt zu lösen. «Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast», tröstete ich ihn, und meine Stimme zitterte.
Muhammad setzte sich auf den kleinen Schemel, der für die Fernbedienung vorgesehen war. Er hörte sich sachlich, aber verloren an. Er sagte: «Vielleicht wird dich die Gewissheit trösten, wir haben Nachforschungen angestellt.»
Frau Safureh bedeutete ihm zu sprechen, schloss die Balkontüren und setzte sich dann zu uns, in den Schaukelstuhl, hing gierig an seinen Lippen. Muhammad wand sich, machte ein unglückliches Gesicht. «Was ist das Problem?», drängte sie ihn. Er deutete an, dass er sich nicht ganz wohl fühlte. Amir stand schnell auf und wollte das Zimmer verlassen, doch ich blieb beharrlich. «Er ist mein bester Freund», sagte ich, «er geht nirgendwohin, du kannst offen reden.»
«Alles ist sehr schnell passiert», berichtete Muhammad. «Fast ein Standgericht, kein Schauprozess, es war vorbei, noch bevor etwas durchgesickert ist.»
Wir scharten uns näher um ihn. Zahra begann zu weinen, ausgerechnet jetzt, auf einmal. Sie schloss die Faust um ein Taschentuch, drückte es an die Wangen und fing das stetig wachsende Rinnsal auf. «Was war die Anklage?», fragte ich. «War es die Protestkampagne, die sie hineingeritten hat?»
Muhammad zögerte. «Es war von vornherein aussichtslos», erwiderte er dann. «Nachdem sie in die Liga der Männer durchgebrochen ist, haben sie die Überwachung verschärft. Als das französische Magazin herauskam, konnten sie schon nicht mehr zulassen, dass sie weiterhin den Staat vorführte und die jungen Leute rebellisch machte. Nilu hat es gewusst, sie spürte, dass sich die Schlinge zusammenzog. Sie geriet in Panik. Also rief sie einen Renntrainer aus Texas an, bat darum, zum schnellstmöglichen Termin in die USA zu fliegen. Als sie bemerkte, dass die Geheimdienstagenten sie Tag und Nacht beschatteten, geriet sie so unter Druck, dass sie sich noch tiefer verstrickte, an einen amerikanischen Diplomaten wandte und um ein Dringlichkeitsvisum für politisch Verfolgte bat. Das war an dem Tag vor Nouruz, die Zeit lief ihr davon. Die Amerikaner wiesen sie höflich ab, es sei keine gute Zeit, um sich in die inneren Angelegenheiten der iranischen Regierung einzumischen.»
«Sie hat mir nichts davon erzählt», sagte ich erschüttert.
Muhammad schwieg.
«Soweit es dir bekannt ist», fragte Frau Safureh schamlos, «haben sie die Ärmste gezwungen, auch Namen preiszugeben?»
Die alte Frau und Zahra hefteten flehentlich ihren Blick auf Muhammad.
«Sie hat sofort gestanden. Alkohol, Drogen, unzüchtiges Verhalten, ungesetzliche Beziehungen, Lasterhaftigkeit in der Öffentlichkeit und unentschuldbare Ehrverletzung der Umma durch Verleumdung des Islams. Es ist nicht sonderlich schwierig, jemanden solcher Vergehen anzuklagen, wenn es gewollt ist, und Nilufar hat kapituliert. Aber Namen hat sie keine genannt.»
«Wie kann es sein, dass ich nichts gemerkt habe?», stieß ich mit Entsetzen hervor.
«Sie war eine so starke Kämpferin», erklärte Zahra, «das gibt es doch nicht, dass sie so schnell aufgegeben hat.»
«Sie tat das, was für ihre Familie gut war», sagte Muhammad ergeben. «Sie wollte ihren Vater nicht in Verlegenheit bringen, ihren Schwestern nicht das Leben verderben. Sie entschied sich dafür, keinen Einspruch zu erheben und keinen Aufruhr auszulösen.»
«Welcher Vater lässt zu, dass seine Tochter sich selbst umbringt?», schäumte Zahra.
«Er hat getan, was für die Familie gut und richtig war. Er traf die Wahl, seine
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