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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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den Hofvorplatz. Eindrucksvolle Pferde werden zum Stehen gebracht. Ein vornehmer Mann im hellen Anzug mit dunkelgrauem, gepflegtem Haar trampelt mit seinen glänzend polierten, schweren Schuhen die Stufen hinauf. Er klopft nicht an die Tür, ein schmaler Spalt steht offen, er stößt sie auf und geht hinein, sein Auftreten ist zurückhaltend, sein Benehmen im Haus, als sei es das seine. Ist es das?
    Die barfüßige Schaida hat die Pferde gehört, rennt aus der Küchentür. Hält an, als sie ihn sieht. Ein hochmütiges Lächeln liegt auf seinem Gesicht. «Oh, und wer sind Sie, junges Fräulein?»
    «Und wer sind Sie?» Sie ist misstrauisch, ärgerlich, sie dachte schon, sie hätte ein Anwesen für sich allein, und nun kommt da ein reicher Mann daher, um die fünfzig, vielleicht ein Verwandter, vielleicht ein Sohn. Er sieht nicht russisch aus. «Ich bin Richter Nabidi, Sie haben nicht von mir gehört? Ein Richter. Hoher Richter im Bezirk. Und Sie, meine Schöne?»
    «Christine ist nicht da.»
    «Christine geht nie weg», gibt er misstrauisch zurück.
    «Und was haben Sie mit ihr zu tun?»
    «Ich passe auf sie auf.»
    «Wie aufpassen?», fragt Schaida skeptisch.
    «Ich kümmere mich darum, dass sie es gut hat.»
    «Und was wollen Sie jetzt?»
    «Das, was mir zusteht.»
    «Was steht Ihnen zu?»
    «Wenn meine Vermutung zutrifft, dann haben Sie sie vertrieben, vielleicht ermordet, und jetzt wohnen Sie selber hier. Und wenn Sie hier wohnen, dann ist das der Lauf der Welt, und ich gebe Ihnen meinen Segen als hoher Richter und meinen Schutz und vielleicht noch ein paar weise Ratschläge, die Ihnen helfen werden, hier im Dorf zurechtzukommen.»
    «Aber das Dorf ist doch leer.»
    «Umso besser müssen sie wissen, wie man zurechtkommt.»
    Schaida hat wenig Zutrauen. «Was würden Sie dafür wollen, Nabidi?»
    «Zunächst einmal, nennen Sie mich Herr Richter Nabidi, eine Anrede unter kultivierten Menschen, wenn Sie gestatten. Und ich werde nicht mehr und nicht weniger verlangen, als mir die alte Journalistin zu Beginn jeden Monats gegeben hat. Und jetzt ist Monatsbeginn.»
    Draußen. Ein weißes Fenster ist zu sehen, offen. Gelbes Licht flimmert heraus. Sonst sieht man nichts. Nur einen undefinierbaren Raum. Aber man hört Grunzen und Wimmern, Schmatzen und Schlürfen.
    Ein Gesicht. Ein Badezimmerspiegel. Dämpfe. Braune Flecken, Rost und Fingerabdrücke. Wasser fließt. Der Richter duscht. Dicke Finger, ein einschneidender Ring, wischen über den Spiegel. Das Gesicht des Richters taucht auf. Er rückt die Krawatte gerade, glättet seine Augenbrauen. «Was für eine erfrischende Neuerung», sagt er sich befriedigt. Und dann schlüpft er in sein Jackett, zwängt sich in die drückenden Schuhe, die ihm eine gute Nummer zu klein sind, eilt in den Korridor, sagt zu ihr: «Das Geld wird mein Fahrer abholen, ich nehme an, dass du dich noch nicht organisiert hast, das geht in Ordnung, ich werde ihn Anfang der Woche vorbeischicken. Die Barmherzigkeit, meine Teuerste, ist es, die mich bekannt gemacht hat.» Er lächelt.
    «Wo verdient man hier Geld, auf diesem Friedhof?», fragt sie.
    «Das ist das Schöne daran, die Welt ist voller Gelegenheiten.»
     
    Die Kutsche fährt ab.
    Rötlich schattierte Dämmerung. Brütende Gedanken. Sie liegt auf der Matratze unter der hohen Decke in Christines Schlafzimmer. Mit einem Mal wird die Qual von einer Erleuchtung abgelöst. Sie stürzt zum Fenster, ein schöner Abend, das Huhn, die Kuh, die Pfützen. Sie brüllt: «Ein Hotel! Wir machen ein Hotel auf!»
    Ein Sturm heißer Hoffnung fegt über das Anwesen hinweg, die unabhängige Schaida ersteht wieder auf. Sie ist mit Leib und Seele im Einsatz. Legt sorgfältig schmiegsame Decken auf die Betten. Verteilt Porzellan, das in einer Küchenkammer versteckt war. Richtet eine Teeecke mit Gewürzen ein. Ein Paar rote Samtstühle. Ölbilder von Häusern, die auf Wasser treiben, Venedig. Eine spiegelnde Glastür führt auf die Veranda, mit einer überwältigend schönen Aussicht über die Hänge. Und ein Fuhrwerk, an einen schwerfälligen, geschmückten Esel gespannt, das mit den Gästen spazieren fahren soll. Wie ein römischer Palast oder eine alte Herberge aus dem siebzehnten Jahrhundert oder ein Landgasthaus, ein französisches vielleicht, so ähnlich. Sie näht turbanartige Gebilde, die sie den Gästen aufsetzen wird. Als Geschenk. Sie wartet.
    Nichts. Keine Menschenseele. Ein wehmütiges Lied von Mercedes Sosa.
    Schaida, schwarz gewandet, reitet auf

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