Der geheime Basar
einem schwankenden Esel, krallt sich an seiner schütteren Mähne fest, vornübergebeugt. Nun mach schon! Er trottet in den dunklen Wald und von dort zum Nachbardorf, auf einen ärmlichen Basar. Die Händler räumen die Waren ab. Heubündel rollen den Pfad hinunter. Fenster werden krachend zugeworfen. Sie mustert die Passanten. Männer. Sie sucht einen Käufer. Sie hat keine Wahl. Tritt zu einem Postboten in gesetztem Alter. Bietet sich an: «Interessiert? An mir, meine ich?» «Nein danke, Mädchen», lehnt er höflich ab. Sie nähert sich einem Bankangestellten, einem Gärtner, einem Getränketräger. «Interessiert? Interesse an mir?» Auch sie lehnen ab, einer nach dem anderen, was ist los mit ihnen, mögen sie keine Frauen? Sie ist kühl und schweigsam, aber sinnlich erregend. Sie verachten sie offenbar nicht, doch es ist keine Leidenschaft da. Keine Leidenschaft in diesem Land. Sie klopft an eine Tür. Eine Familie. Die Frau öffnet, der Mann im Hintergrund. «Seid ihr interessiert an einem jungen Mädchen?» «Nein danke, Schatz, aber viel Glück noch.» «Fräulein, wir haben genug von deiner Sorte hier, unsere eigenen, im Dorf», sagt ein Straßenhändler zu ihr. Und in Minutenschnelle ist schon der Abend gekommen, und die Füchse sagen sich auf den Gassen gute Nacht. Sie ist allein.
In rasender Weißglut zerschmettert sie Glasscheiben, öffnet die Tür von innen, bricht in das Gebetshaus ein, rennt tief ins Innere, in einem Tränenstrudel, und wirft sich flach auf den Boden. Ihr Haar ist wirr. Sie heult. Ströme von Tränen. Sie kommt auf die Füße, tritt tobsüchtig um sich, reißt heilige Bücher in Fetzen, ist nicht bereit, noch länger zu leiden.
Ein neuer Tag. Im Hotel. Sie ist gelähmt. Liegt ergeben auf dem Bett. Sie hat aufgegeben. Vielleicht wird sie fliehen, vielleicht Selbstmord begehen. Gegen Morgen starren ihre hellen klaren Augen in die Luft. Das Donnern von Motoren. Sie zögert. Das Donnern kommt näher. Sie geht zum Eingang hinunter, öffnet die Tür. Eine Fahrzeugkolonne hält zu ihren Füßen. Soldaten. Ein kurzgewachsener General entschuldigt sich für die frühe Ankunftsstunde. «Morgen fängt der Krieg an», verkündet er, «morgen werden wir über die Grenze stürmen, Sie gestatten, dass wir einstweilen in Ihrem Hotel Quartier nehmen? Die Staatskasse wird mit Freuden alle Ausgaben begleichen und für eventuell entstehende Schäden aufkommen.» Sie würde als Musterbürgerin für ihre Hilfe zur Stärkung des Landes und ihre Standhaftigkeit entgolten werden. Sie nickt.
Der Krieg hat sie gerettet. Ein Tumult herrscht im Haus, junge Soldaten stampfen die Treppen hinauf und hinunter, rennen zwischen den Zimmern hin und her. Die Schlacht wird wirklich jeden Moment beginnen. Aber wieso der Krieg? «Profanierung des Heiligtums», erklären sie ihr, «der Feind ist in der Nacht in ein Gebetshaus eingebrochen, hat grausam gehaust.» Ein Wunder. Die Welt spielt mit ihr. «Und wie lange wird der Krieg dauern?», fragt sie. «Das weiß man nicht, hoffen wir, dass er nicht zu kurz wird», sagt der General. «Lang, lang wird er», flüstert der Generaladjutant.
Die Dinge des Lebens. Schaida kocht, serviert, wäscht, unterhält. Sie reitet zum Markt, liest junge Mädchen in den Gassen auf. Sie sollen ihr helfen. In dem trockenen Becken im Hof sprudelt wieder Wasser. Die Soldaten springen wie Kinder hinein, werfen die Last des angespannten Wartezustands ab, und sie fühlt sich wohl.
Nacht, ein leuchtendes Lagerfeuer, Funken, züngelnd blitzt es zwischen den verschwommenen Gesichtern auf, in wenigen Stunden werden sie auf ihrem Weg in die Schlacht sein. Sie betrachtet die Männer, die Kamera taucht in sie ein, und sie ist in ihnen versunken, vielleicht kehrt endlich ihre Zuneigung zu den Menschen wieder, oder sie hatte sie nie, vielleicht ist es Mitleid, denn sie gibt sich die Schuld an all dem Tod, der bald unter ihnen hausen wird. Nein, warum sollte sie sich die Schuld geben, sie hat sich schließlich selbst gerettet, sogar ohne Absicht. Das erste und einzige Mal, dass das Schicksal die Weichen für sie richtig gestellt hat. Sie studiert die weit geöffneten Augenpaare. Vielleicht ist sie einfach hungrig nach Berührung, schwankt, wen sie heute Nacht an sich pressen möchte, sie kann sich ja jeden nehmen, den sie will, alle, sie ist wie eine süße Frucht, wirklich erotisch mit ihren bloßen Armen im Wind. Sie geben ihren Blick zurück, produzieren sich vor ihr. Ein Kämpfer spielt auf einer
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