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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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beschlossen hat. Kummerfalten. Eine verlorene Seele. «Hier gibt es viele Leicheneinsammler, meine Liebe», sagt der General, «und ich werde sie nie fragen, woher sie sind, damit ich nicht der Diskriminierung verdächtigt werde. Sie sind alle meine Soldaten, alle Leichensammler, sie sind mir alle im gleichen Maße wichtig.»
    Sie wäscht Blut von ihren Händen, steigt auf den Esel, bricht zur Front auf. Sie stöbert in jedem Zelt und möglichen Zufluchtsort, vielleicht versteckt er sich, eingegraben in den Abwasserkanälen. Er ist empfindsam, ihr Sammler, vielleicht sogar ein Feigling, liebt Dichter und Reime. Sie ist vom Licht geblendet.
    «Was hast du mit dem Krieg zu tun?», fragt ein dicker Kampfsoldat in einer Hütte.
    «Viel, wenn man darüber nachdenkt.» Sie hat schließlich das Streichholz entzündet.
    «Was hast du mit uns zu tun, ein freier Mensch wie du?», beharrt er.
    Sie atmet schwer.
    «Kaffee?» Er schenkt ihr ein. «Andere Dinge werden dir morgen teuer sein.»
    Wie kommt es, dass er nicht unruhig ist? Wieso ist keiner dort unruhig? Aus einer Nische taucht noch ein Soldat auf, ein alter. «Gebäck?» Er serviert es ihr. Seine Lippen sind entstellt, die Silben kommen ein wenig verzerrt aus seinem Mund. «Trockenes Gebäck? Möchtest du?» Sie wollen nicht mit ihr schlafen, sie geben ihr ein Taschentuch, um sich die Tränen abzuwischen. Und auch Datteln. «Wir sitzen hier, bis du fertig bist», bietet der Alte an, «setz dich zu uns.»
    «Ich hatte eine Großmutter im Rollstuhl», erzählt der Dicke, «eine kluge Frau, sie sagte immer, Liebe ist nur eine Antwort auf fehlende Bedeutung. Wenn du Bedeutung in deinem Leben hast, wirst du nicht in die Falle der Liebe tappen.»
    Sie singen ein leises Lied, ein Wiegenlied, eigentlich ein Kriegslied. Sie zünden einen Gaskocher an, erhitzen Wasser, umarmen sich alle drei, um sich warm zu halten. Wie soll man nach solchen Augenblicken nicht süchtig werden?
     
    Bei Sonnenaufgang kehrt sie zum Anwesen zurück, zu Fuß auf ihren zwei Beinen, allein, stumpf und ergeben. Das Tor steht sperrangelweit offen, der Platz ist verödet. Das Getöse der Legionen ist verschwunden, auch von den aufopferungsvollen jungen Mädchen keine Spur, und wenn der Dreck nicht wäre, könnte man glauben, es wäre nie etwas gewesen. Sie ergreift einen Besen, beseitigt die Spuren, sammelt die Scherben auf, die Stummel, wirft alles den Hang hinunter, scheuert das Fenster der Veranda, die zum Esszimmer geworden war und anschließend zur Pflegestation und jetzt in Bergen leerer Kisten und Müll erstickte. Sie ist verwaist. Jetzt wird ihr Sammler sicher kommen, sie wird nicht einsam und verlassen, einfach so, sterben.
    Er kommt. Der Leichensammler aus dem Südwesten mit zarten Anflügen eines Barts, knabenhaft, weich, und einem kleinen Ranzen, stapft über das dürre, zertrampelte Gras, in kurzen Hosen und sauberem Unterhemd, Narzissen in der Hand. Schaida tritt ihm entgegen.
    Ein dämmriger Morgen, als sei es gar nicht Morgen. Der Richter Nabidi und seine Kutsche holpern über den Kies auf den Vorplatz. Schaida und der Sammler gehen zu ihm hinunter, Hand in Hand. Er ist nicht im Krieg umgekommen, der Richter, vielleicht werden die beiden ihn gemeinsam ermorden, denn was ist schon eine kleine Leiche mehr im Ozean des Krieges, er wird schließlich jetzt nicht mit beiden schlafen wollen, sie will er, und vielleicht ist der Sammler schüchtern und weich genug, dass er zulässt, dass sie sich dem Richter hingibt? Sie ist es ja gewöhnt, sich hinzugeben. Hat der Krieg sie verändert? Hat die Liebe sie verändert? «Ich sehe, dass der Krieg uns alle gerettet hat», sagt der vornehme Richter in seinem eleganten Anzug, und eine pompöse militärische Siegesschwertnadel prangt glänzend auf seiner geblähten Brust. «Besteht die Chance auf ein Festmahl in diesem Haus?», fragt er und betritt den Salon oder was davon übrig ist, wirft sich roh in einen Sessel und wartet darauf, dass er bedient wird. «Wie war der Feldzug für dich, mein Sohn?», fragt ihn der Richter, während er mit seiner Geliebten die letzten Essensreste und ein Kännchen Tee serviert.
    «Sie gestatten, Herr Richter», antwortet der Sammler, «ich bin zwar in Kriegskunde nur wenig bewandert, doch mir scheint, wenn Sie erlauben, dass wir als Armee mit einer mangelhaften Planung in die Schlacht gezogen sind. Es gab zu viele Leichensammler. Eine Reihe dürftiger Tage verbrachten wir in der Einheit, eine himmelschreiende Vergeudung.

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