Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
Ney anban, einer Art Dudelsack aus Ziegenhaut. Er flirtet angestrengt mit ihr. Nein, sie will nicht. Auch ein Offizier wirft ihr einen Kuss durch die Luft zu. Sie schreckt zurück. Ein junger Bursche spielt auf einer Daf-Trommel, die das Bild eines alten Mannes mit wildem weißem Haar schmückt, er schlägt zart darauf. Er blickt Schaida nicht an. Er lächelt einfach so vor sich hin, eingeschüchtert von der Atmosphäre. Ihn will sie. Sie mustert jede seiner Bewegungen. Er ist allein, er gehört nirgends dazu. Sie wartet, bis das Feuer niedergebrannt ist und sich die Männer zerstreuen. Sie tritt auf ihn zu. Er wird sicher tot umfallen, wenn sie sich so für ihn interessiert. Sie fragt ihn: «Was ist deine Aufgabe hier?»
    «Ich sammle die Leichen ein.»
    «Ist das eine wichtige Aufgabe?»
    «Es gibt viele Leichensammler hier. Es ist nichts Besonderes an mir.»
    Man sieht ihr an, dass sie denkt, es ist schon etwas Besonderes an ihm, oder sie fühlt sich sogar davon angezogen, dass er nichts Besonderes ist und nicht versucht, besonders zu sein. Er ist schlicht: nicht besonders hübsch, nicht besonders groß, seine Stimme weder sanft noch männlich. Er ist weder sehr behaart noch glatt, weder hell- noch dunkelhäutig. Aber gerade weil er so ist, trieft die Sinnlichkeit aus allen Ecken des Bildschirms, die Spannung knistert.
    «Bist du hier geboren?», fragt sie.
    «Nein, ich bin im Südwesten geboren.»
    «Wenn du dort geboren bist, wieso bist du hier, um zu kämpfen?»
    «Dort habe ich Baumwolle angebaut. Ich sehne mich nach den Obstbäumen. Nach Großvaters Wein. Nach der Bäckerei meines Vaters. Nach der Weberei meiner Mutter. Nach der Schule. Aber auch hier ist es nicht schlecht, sogar gut, der Krieg bringt neue Menschen zusammen, zeichnet Grenzen neu, und Träume.»
    «Und wer hat dich die Daf gelehrt?»
    «Ich habe es allein gelernt, auf dem Grab des Dichters. Ich ging jeden Abend von daheim zu dem Grab und zurück und spielte.»
    «Ist es schön dort?»
    «Schön.»
    «Ich war nie dort.»
    «Ich werde dich mitnehmen, nach dem Krieg», verspricht er. Er wird bestimmt in der Schlacht fallen nach einem solchen Versprechen.
    «Ich habe nie daran gedacht, hier herauszuklettern», sagt sie grübelnd.
    «Der Dichter saß vierzig Tage und vierzig Nächte lang in einem Kreis», erzählt er ihr, «als er sechzig Jahre alt war, saß einfach dort, bis ihn die geistige Erleuchtung überkam, und er schrieb den Großteil seiner Gedichte. Ich liebe Reime.»
    «Wie alt bist du?»
    «Siebzehn.»
    «Findest du mich hübsch?»
    «Sicher. Ich kenne kein hübscheres Mädchen als dich.»
    Sie küsst seine schmalen Lippen.
    «Göttliche Schönheit», flüstert er und lässt sich von ihr küssen. Sie schlafen ein, eingehüllt in schneeweißen Stoff, einer in den Armen des anderen. Sie umschlingt ihn. Er legt eine weiche Hand auf ihren grünen Lederrock.
    Krieg. Ein ziemlich stiller. Keine schweren Geschütze, keine ohrenbetäubenden Bombardements, die Soldaten brüllen nicht: «Sturmangriff!» Kein schwarzer Rauchpilz steigt über dem Dorf empor. Nur kleine Fackeln. Und ein langer Marsch. Hin und wieder verstecken sie sich, ab und zu werden sie aufgehalten, fallen, jemand wird getötet, ausgelöscht, sie verstecken sich, ergeben sich, der Geist ist ungebrochen, sie marschieren weiter. Soldaten wie auf einem Ölgemälde. Veraltete Ausrüstung. Raubkatzen pirschen zwischen den Stellungen mit zu Schlitzen verengten bösen Augen.
    Am Tor des Anwesens schaukelt eine Karawane stiller Bahren den Pfad entlang. Verbundene Invaliden hinken zur Behandlung, lahm, amputiert, humpelnd und stolpernd. Die Mädchen pflegen sie. Zeremonien und Rituale. Das Wohnzimmer ist nicht mehr elegant. «Der Krieg ist für den Mann wie die Mutterschaft für die Frau», sagt der General. Ein Zitat von Mussolini. «Die Hölle ist der Mensch selbst», sagt der Adjutant des Generals. T. S. Eliot. Die Hölle ist das Alleinsein, und der Mensch ist immer allein. «Der Krieg ist eine große Schule», sagt der Adjutant des Generals. Der Krieg sind alle fünf Sinne. Krieg eint das Volk.
    Schaida rennt herum, sie pflegt niemanden, sie sucht ihn. Seine Aufgabe ist es schließlich, Leichen einzusammeln, und hier sind die Leichen, wo also ist er? Sie fragt: «Habt ihr den Leichensammler aus dem Südwesten gesehen?» Sie kennt seinen Namen nicht. Sie muss ihn sehen, und wenn er ein hinkender Invalide ist, blind, eine Leiche, aber er soll da sein, damit sie weiß, was das Schicksal

Weitere Kostenlose Bücher