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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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hätte dich von mir gegrüßt. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass es dich interessiert, was aus mir wird? Du warst doch noch ein Kind.«
    »Vater ist tot.«
    Das war aus mir herausgeplatzt. Anton wurde ernst.
    »Das tut mir sehr leid. Dein Vater war ein großer Mann.«
    »Du hast ihn in der kurzen Zeit ja wohl kaum kennenlernen können.«
    Ich gab mit gleicher Münze zurück. Wollte das Gesagte ungesagt machen. Du warst doch noch ein Kind.
    »Manche Dinge merkt man sofort. Und dein Vater …«
    »Und deshalb bin ich hier in Diensten. Mutter ist jetzt allein. Auch wenn Markus …«
    »Was ist denn hier los?« Carl Ottos Stimme, und als ich mich umdrehte, stand er hinter mir. Rasch streckte ich Anton die
Arme entgegen. Er zog den Rock aus und reichte ihn mir. Ich machte einen Knicks. Anton sagte:
    »Rakel und ich kennen uns von früher. Ich habe fast eine Woche auf dem Hof ihrer Eltern verbracht, um eine Gebetsversammlung zu erleben. Das ist einige Jahre her. Damals herrschte Friede.«
    »Herrgott, ja.« Carl Otto seufzte. »Aber ich wäre jetzt sehr froh, wenn der Herr in den Salon kommen und mit uns anstoßen könnte. Dass er sich gern mit Rakel unterhalten möchte, kann ich sehr gut verstehen. Aber wenn er nicht bald hereinkommt und die Anwesenden begrüßt, wird auch in diesem Haus der Krieg ausbrechen.«
    Anton ließ sich in den Salon führen. Und ich stand da, mit seinem Rock in den Armen. Meine Beine waren wachsweich, meine Arme kraftlos wie die Zweige einer toten Birke, meine Stimme stumm wie die meines Vaters unter dem Grabstein. Ich blieb stehen, bis alles in mir sich beruhigt hatte, dann drückte ich die Nase in Antons Rock. Derselbe Duft, den das Taschentuch bewahrt hatte, dieser Duft, noch immer um ein Fünfkronenstück gewickelt.
    Ich strich meine Schürze gerade, ging mit starrem Gesicht los und begegnete Leas Blick. Rannte die Treppe zur Küche hinunter, packte eine übervolle Schüssel, lief die Treppe wieder hoch. Musste aufstoßen und lehnte mich an die Wand.
    »Was ist passiert, Rakel?«
    Lea kam mir auf der Treppe entgegen. In den Händen hielt sie die Reste eines zerbrochenen Glases.
    »Sei vorsichtig, dass du dich nicht schneidest.«
    »Denk nicht an mich. Was …«
    »Wirklich nichts. Mir ist nur ein bisschen schlecht.«
    »Wenn du kannst, dann geh so schnell wie möglich nach oben. Die Ottosche ist schon schlechter Laune, weil die beiden
zu spät gekommen sind, und die Witwe kann nicht verbergen, wie gut ihr Rubens Freund gefällt. Aber bist du sicher, dass …«
    »Mir geht es gut.«
    Ich drückte mich an Lea vorbei und zwang mich, mich normal zu verhalten. Ging mit der Schüssel herum, bot sie den Gästen an und lächelte freundlich. Schaute zu Boden, als Anton sich etwas nahm. Hörte über meinem Kopf Amanda Ottos Stimme.
    »Und Sie haben vor, hier in Göteborg zu bleiben, Herr Kandidat? «
    Antons Stimme, seine gebildete Wortwahl.
    »Das hatte ich vor. Ich habe meine Studien beendet und würde mich gern hier unten nach einer Stelle umsehen. Aber zuerst möchte ich das Buch beenden, an dem ich gerade schreibe. Über die Gründung einer freien und christlichen Studentenverbindung. «
    »Ein echter Autor? Bewundernswert. Sich einfach hinzusetzen und sich auf das geschriebene Wort zu konzentrieren.«
    Marianne glitt vorbei und trat neben Anton. Sie trug roten Samt und hatte hinreißende weiße Stiefel an den Füßen. Die Spitzen waren mit feinen Stickereien verziert. Als sie sich bei Anton unterhakte, ließ sie ihr Kleid so fegen, dass die Stickerei zu sehen war.
    »Dann muss ich darauf bestehen, Sie zum Tischherrn zu bekommen. Ich liebe Marika Stiernstedts engagiertes Buch über den Krieg. Was halten Sie von schreibenden Frauen?«
    Charmant plaudernd führte sie ihn zum Tisch, ohne auf die missbilligenden Blicke ihrer Schwiegermutter zu achten. Die restlichen Anwesenden gruppierten sich um die beiden, ohne sich an die vorgeschriebene Tischordnung zu halten. Carl Otto saß bereits am einen Querende. Jetzt stand er auf und hob sein
Glas. Lea und ich waren an der Wand postiert, die Hände im Rücken verschränkt.
    »Ich möchte alle willkommen heißen«, begann er. »Wir haben eben über den Krieg gesprochen. Der geht nicht so schnell zu Ende, wie wir erwartet hatten. Das zweite Kriegsjahr und keine Lösung in Sicht. Gott helfe denen, die unter den Schrecken des Krieges leiden. Danke dafür, dass wir hier zusammensitzen und in einer Familie Geburtstag feiern dürfen, die nicht

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