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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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keine Alternative. Sie musste uns versorgen. Meine Großeltern halfen ihr zwar, aber sie trug die schwerste Last. Aber sie hat mir fast nie gezeigt, wie schwer das war. Nur wenn ich mir wieder ein Loch in die Hose gerissen hatte. Ich habe immer gern Fußball gespielt.«
    »Und dein Vater? Wie oft hast du den gesehen?«
    »Wir haben seitdem nur sporadisch Kontakt. Ich kann keine Menschen akzeptieren, die andere im Stich lassen.«
    Anitas Stimme hatte plötzlich eine gewisse Schärfe bekommen, und sie wandte sich nun an Niklas. Ob es gut geschmeckt habe. Er nickte und streichelte flüchtig ihre Wange.

    »Und jetzt hast du dich auf Ahnenforschung verlegt?«
    Anita fragte das, während sie einen Kellner heranwinkte und einen Nachtisch bestellte. Inga nahm einen schwachen Schweißgeruch wahr und hoffte, dass der vom Kellner kam und nicht von ihr. Wenn Ahnenforschung ein anderes Wort für Zusammenbruch sein sollte, dann war das ungeheuer subtil.
    »Ahnenforschung ist nicht das richtige Wort. Ich habe einen Karton mit alten Papieren gefunden und einen Brief gelesen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Vor allem über meine Großmutter. Unser Sommerhaus lädt aber auch dazu ein.«
    »Ja, Niklas hat von euren Sommern auf Marstrand erzählt. Wie ihr auf den Klippen herumgeturnt seid, euch gesonnt und dem Müßiggang gefrönt habt. Ich habe in den Ferien meistens im Laden gearbeitet. Meine Mutter konnte sich doch nie freinehmen.«
    Verbarg sich in Anitas Bemerkung eine gewisse Kritik? Elegant wie die Tunika, aber dennoch vorhanden? Sie schaute Anita in die Augen.
    »Meine Mutter meinte immer, ich sollte im Sommer freihaben. Meine Eltern haben mich eigentlich fast dazu gezwungen. Da waren sie einer Meinung. Ich sollte mich von der Schule erholen.«
    »Das war großzügig von ihnen. Und du warst gern den ganzen Sommer auf Marstrand? Wolltest du nicht mal woanders hinfahren?«
    Ihre Wangen wurden heiß. Vielleicht lag das an dem Heizkörper hinter ihrem Rücken.
    »Wir sind mit unserer sogenannten Clique immer wieder verreist«, antwortete Niklas an ihrer Stelle. »Inga vielleicht am meisten von uns allen, weil sie stets neue Motive zum Fotografieren suchte. Auf Marstrand hattest du mit fünfzehn sicher schon jeden Quadratzentimeter fotografiert. Ich weiß noch, wie
ich dir geholfen habe, diese riesige Großbildkamera durch die Gegend zu schleppen. Du wolltest unbedingt auf Glasplatten fotografieren. Als wärst du eine Fotografin aus der Zeit um die Jahrhundertwende.«
    »Aber gib zu, dass das fantastische Bilder geworden sind.«
    »Das war, ehe du begriffen hast, dass auch kleinere Kamera etwas taugen können.«
    Ehrgeizig und umständlich war diese Methode gewesen, mit Ergebnissen wie Drucke auf dickem Aquarellpapier. Sie hatte das alles aufgegeben, als sie sich in die Leica verliebt hatte. Niklas wandte sich ihr zu, und sie wusste, dass sie an dasselbe dachten. Warme Felsen, blankes Meer, Sonne und Tee und Kaffee in der Thermosflasche. Baden am Ende der Saison, wenn die Touristen verschwunden waren. Keine anlaufenden Boote mehr, keine Regatten, die Marstrand in ein heiteres Inferno verwandelten. Diese unendlichen Stunden im Freundeskreis. Keine Mobiltelefone, keine Mails. Eine andere Zeit, ein anderes Leben.
    Anita wechselte das Thema.
    »Ich habe einige deiner Bilder gesehen. Sie sind wirklich schön. Du müsstest einmal in Dubai fotografieren. Dann kannst du das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden und uns besuchen. Falls du deine Arbeit wieder aufnimmst.«
    Konzentration. Vorsichtig hob sie die Serviette zum Mund und biss darauf. Sie spürte den rauen Stoff an ihrer Zunge, ein leichter Geschmack nach Waschmittel.
    »Hat Niklas das nicht erzählt?«
    Beide schauten ihn an. Er gab sich alle Mühe, die angespannte Situation zu überspielen.
    »Anita und ich spielen mit dem Gedanken, nach Dubai zu gehen«, sagte er ziemlich langsam. »Eine Firma aus den USA hat sich vor einiger Zeit bei mir gemeldet. Sie interessiert sich
für die Lösung, die ich für ein Bauprojekt gefunden habe. Es geht um die Sicherung der Höhen-Stabilität. Einige Fachzeitschriften haben darüber berichtet, und so kam es zu diesem Kontakt. Zuerst habe ich gezögert, dann ging mir auf, wie fantastisch dieses Angebot ist. Ich weiß nicht, ob du eine Ahnung davon hast, was in Dubai passiert. Aber die Entwicklung dort lässt sich fast mit der New Yorks vor hundert Jahren vergleichen. Bauprojekte, die nicht von dieser Welt sind. Sie haben mir angeboten,

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