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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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einen Jakob, den ich vorstellen könnte.
    Unser erster Kunde war zurückgekommen und hatte weitere Dinge gekauft, genau wie er gesagt hatte, hatte von Lea einen Kuss auf die Wange erhalten und bezahlt. Ich hatte sie zuerst heftig ausgeschimpft. Doch sie hielt mir den Mund zu und fragte, was schlimmer sei, kurz ins Bein gebissen zu werden, was übrigens nicht anders sei als von den Wanzen, oder einen Kunden zu verlieren.
    Ich gab mich am Ende geschlagen. Sollte sie doch machen, was sie wollte, wenn das nur von mir nicht verlangt würde. Lea fragte, wie ich mir die Sache mit dem Verdienst eigentlich dachte. Es sei schon in Ordnung, solange ich den Mund hielt, aber nicht, wenn ich sie verurteilte.
    Ich überlegte. Nach einer Weile hatte ich mich entschieden und bat um Verzeihung. Ich erklärte mich bereit, auf einen Teil des Erlöses zu verzichten, da Jakob und Ruben den ihren bekommen
hatten und wir den Rest teilen sollten. Lea lehnte ab. Dann kam der Sohn des Chefs der Versicherungsgesellschaft, und alles blieb, wie es war.
    Jakobs Beziehungen im Hafen lieferten ihm dauernd neue Informationen über Ladungen, und die Schauerleute konnten gegen eine Münze alles Mögliche beiseiteschaffen. Ein nächtlicher Austausch von Diensten war möglich, wenn der Verdienst geteilt wurde. Die Lieferungen kamen zwar nicht regelmäßig, aber irgendetwas fand sich immer ein. Ruben hatte außerdem in mehreren Branchen Bekannte. Es war überraschend, wer womit Handel trieb. Holz, Brennmaterial, Kaffee, Stoffe und Seife wurden von denen gekauft, die Geld hatten und noch besser verkaufen konnten. Alle Kunden verhielten sich korrekt, seit wir uns Respekt verschafft hatten. Und Jakob hielt nachts nicht mehr Wache, nachdem er eingesehen hatte, dass keine Gefahr bestand.
    Dass einer der Chefs der Versicherungsgesellschaft, die Kriegsversicherungen inklusive Kaperrisiko verkauften, sich für einige Ballen Stoff interessierte, hatte also seine Ordnung. Das Geschäft war längst abgemacht. Als Lea abends Fieber bekam, beschlossen wir, dass ich den Rest auch allein erledigen könnte. Der nächtliche Gang zur Fabrik ängstigte mich nicht mehr, und Jakob oder Anton würden mich sicher ein Stück weit begleiten können. Ja, Anton war in meinem Leben noch immer vorhanden.
    Aber zuerst der Versicherungschef.
    Er hatte seinen Sohn geschickt, einen Offizier der Reserve, der in Uniform an unsere Tür klopfte, meine Hand nahm und auf seine Mannen und die Eile hinwies. Der Preis, den er vorschlug, war nicht schlecht, aber ich widersprach. Wir hatten uns einige Kronen mehr gedacht, und ich landete in einer Diskussion, aus der ich nicht mehr herausfand. Der Sohn lächelte
und schmeichelte und war ansonsten unerbittlich, und am Ende hatte ich die Sache satt.
    Mitten in einem Satz stemmte ich die Hände in die Seiten, streckte ein Bein aus und fragte, ob er mir helfen könnte, den Stiefel zu schnüren. Er kniete nieder und fummelte an den Schnürsenkeln herum, während ich meine Röcke ein wenig hob. Als er sich erhob, war er rot im Gesicht, und er erklärte, wir müssten doch nicht um den Preis schachern. Wenn er mich einmal zum Tanz ausführen dürfte, würde er das als Ehre betrachten. Übrigens sei das Mittagessen im Hotel Phoenix wohlschmeckend und reichlich.
    So einfach war das also. Heute denke ich, wenn ich uns alte Fetzen hier liegen sehe und weiß, dass der Weg immer rascher ins Ungewisse führt, dass die schlichtesten Wahrheiten überleben. Alles hat seinen Preis, auch die Gier.
    Aber nicht alles sind schlichte Wahrheiten, und nicht alles lässt sich durch Uniformen und Hotelmahlzeiten lösen. Ich machte mir Sorgen um Lea. Dass sie unsere Geschäfte lenkte und dass sie auf irgendeine Weise mit Vater und Sohn Otto jonglierte, konnte ich hinnehmen. Ruben war an unseren Unternehmungen beteiligt, aber wie konnte ein Mann von Carl Ottos Intelligenz sich dermaßen an der Nase herumführen lassen, dass er seine Räumlichkeiten Geschäften überließ, die ihm nichts einbrachten? Ich fragte das öfters, erhielt aber keine befriedigende Antwort. Carl Otto sei »nicht so oft da« oder nehme »die Kontrollen nicht so genau«, hieß es. Mir schien aber, dass etwas in der Ecke auf der Lauer lag. Aber bestimmt wusste ich das erst, als ich eines Nachmittags früher nach Hause geschickt wurde.
    Amanda Otto war zu Verwandten gefahren und würde über Nacht wegbleiben. Wir hatten den Frühjahrshausputz hinter uns, hatten die Fenster gereinigt, und da die Gnädige nicht

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