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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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zugegen
war, fanden Signe und Edvard, ich könnte nach Hause gehen. Ich sähe müde aus, meinten sie. Unsere Geschäfte liefen seit mehreren Wochen, und ich hatte schon lange keine Nacht mehr durchgeschlafen. Ich überquerte den Bahnhofsvorplatz, ging spontan in eine Bäckerei und kaufte zwei Windbeutel zu fünf Öre, um zu feiern. Ich wollte bei Lea in der Fabrik vorbeigehen und hoffte, dass auch sie früher Feierabend machen könnte. Der Wind war warm, und ich dachte an den Wald in Närke. Mutter hatte gefragt, ob ich nach Hause kommen könnte, wenn Familie Otto in den Ferien nach Marstrand fuhr. Die Birken schlugen aus, und auf Vaters Grab wuchsen Maiglöckchen. Ich hatte ihr noch nicht geantwortet, da ich nicht wusste, ob ich freibekommen würde.
    Als ich das Schuhgeschäft betrat, hatte ich viel mehr Mut als beim ersten Mal. Ich besaß jetzt zwei Paar Schuhe, und diese hier waren so gut, dass ich mich nicht zu schämen brauchte. Der Verkäufer im Laden war zudem freundlicher als seine Kolleginnen und nickte mir zu, da er mich erkannte. Er wusste, dass ich Lea besuchen wollte, und ließ mich zur Fabrik weitergehen. Dort suchte ich mir meinen Weg zwischen den Reihen aus Maschinen und Arbeitern. Jemand rief, Lea sei im hinteren Raum, aber da konnte ich sie nicht finden. Später sollte ich das bereuen, aber als ich an Carl Ottos Büro vorbeiging, dachte ich, er könnte es vielleicht wissen. Vielleicht war mein Instinkt stärker als meine Vernunft, denn ich vergaß anzuklopfen.
    Auf dem Sofa lag Lea mit hochgezogenen Beinen. Über ihr, das Gesicht in ihren Röcken verborgen, während seine Hände ihren Körper betasteten, lag Herr Fabrikdirektor Carl Otto. Sie fuhren auseinander. Carl Otto fluchte, während Lea, scheinbar gelassen, ihre Haare glatt strich. Ich machte auf dem Absatz kehrt, stürzte fort und stellte erst mehrere Straßen weiter fest, dass ich den Karton mit den Windbeuteln so hart gegen meinen
Bauch gedrückt hatte, dass die Sahne herausquoll und sich auf meinem Mantel verteilte. Da spürte ich die Hand. Lea hatte sie auf meine Schulter gelegt und zwang mich, an der Straßenecke stehenzubleiben. Eine Straßenbahn fuhr vorbei, und ihr Scheppern mischte sich unter meine Vorwürfe.
    »Du wolltest dich doch auf keinen einlassen. Was dein war, sollte dein bleiben. Und jetzt tappst du wie jede andere in die Falle und lässt ihn deine Kleider bezahlen …«
    »Sei still, Rakel! Sei still! Glaub, was du willst. Aber ich weiß, was ich tue. Hörst du? Ich weiß, was ich tue.«
    »Wenn du das so gut weißt, warum hast du nichts erzählt? Ich dachte, du wärst ehrlich mir gegenüber. Ich dachte, wir teilten alles, aber jetzt hast du mich auf die schlimmste Art und Weise belogen.«
    Ich schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Lea legte die Arme um mich. Sie besänftigte mein Schluchzen zum Aufhören, dann zog sie mich in ein Café und bestellte eine heiße Schokolade. Die Stimmung war gedämpft, die Auswahl gering, die Tapeten bestickt. Der Stuhlrücken drückte an meinen Schultern, und das steigerte meine Erregung nur noch.
    »Du hast von Wörtern und Gedanken geredet. Und sonst wolltest du nichts.«
    Ich fauchte das heraus. Lea legte ihre Hand auf meine.
    »Ich weiß, was ich gesagt und nicht gesagt habe. Dass ich nichts gesagt habe, das war deinetwegen. Es gibt Wahrheiten, die wehtun, Rakel, und deine Seele ist die reinste, die es gibt. Ich wollte nicht die sein, die sie zerstört.«
    »Ich glaube dir kein Wort. Wenn du nicht sofort …«
    »Ich will Ruben, und Ruben will mich. Aber Ruben will keine Frauen.«
    Die Schokolade war so dünn wie gefärbtes Wasser und so trübe wie die Wahrheit.

    »Hör mir zu, Rakel, Alles, was ich gesagt habe, war die Wahrheit. Ich will Ruben. Er ist mein Gefährte im Geist und im Denken. Ich verstehe seinen Gott nicht, aber ich verstehe seinen Wunsch, das Richtige zu tun und anderen zu helfen. Ich glaube, dass wir zusammen Großes ausrichten können, und ich weiß, mit mir an seiner Seite wird alles viel leichter für ihn sein. Ich glaub sogar, dass er mich so sehr liebt, wie ein Mann seiner Art das kann, und ich glaube auch, dass er sein Leben mit mir teilen kann. Dann kann er seiner Neigung gemäß leben, wenn er nur vorsichtig ist. Wir werden glücklich sein. Da bin ich sicher.«
    »Was hat das damit zu tun, dass du dich Rubens Vater hingibst? Noch dazu im Büro, wie eine …«
    » … Hure, wolltest du sagen? Sag es nur, Rakel. Du weißt alles über mich.

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