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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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zu dienern und Befehle entgegenzunehmen.
    »Du bist wie das Rotkehlchen«, sagte er eines Morgens, als er den Kopf hob und sie neben sich stehen sah. »Ich weiß nie, wann ich dich sehe und von welcher Seite zu kommst.«
    »Robin ist nun mein Freund«, sagte Mary.
    »Das sieht ihm ähnlich«, schnauzte Ben Weatherstaff. »Aus Eitelkeit und Unbeständigkeit geht er zu dem Weibervolk.«
    Ben richtete sich auf, stellte einen seiner nägelbeschlagenen Stiefel auf den Spaten und sah Mary prüfend an.
    »Wie lange bist du jetzt hier?« brummte er.
    »Ich glaube, einen Monat«, antwortete sie.
    »Du stellst Misselthwaite ein gutes Zeugnis aus. Ein bißchen dicker bist du geworden, und du siehst nicht mehr so gelb aus. Als du zum erstenmal kamst, sahst du aus wie eine gerupfte Krähe. Ich dachte bei mir, daß ich noch nie ein junges Gesicht gesehen hatte, das so erbärmlich und mürrisch dreinschaute.«
    »Ich weiß, daß ich dicker geworden bin, sagte sie. »Meine Strümpfe sitzen enger. Vorher warfen sie immer Falten. Da ist das Rotkehlchen, Ben Weatherstaff.«
    Da war es tatsächlich, und Mary fand, es sehe schöner aus denn je. Es entfaltete seine Flügel, nickte mit dem Köpfchen und hüpfte umher. Es schien es darauf abgesehen zu haben, von Ben Weatherstaff bewundert zu werden. Aber Ben lächelte spöttisch. »Da bist du ja«, sagte er. »Bei mir erscheinst du nur, wenn du nichts Besseres vorhast!«
    Das Rotkehlchen breitete seine Flügel aus und — Mary traute ihren Augen nicht — flog auf Ben Weatherstaff zu und setzte sich auf den Spatengriff. Das faltige Gesicht des Alten veränderte sich völlig. Er stand da, als wagte er nicht zu atmen, als fürchtete er, Robin zu erschrecken. Er flüsterte.
    »Ich bin besiegt.«
    Er stand still und hielt den Atem an, bis das Rotkehlchen seine Flügel wieder hob und davonflog. Dann starrte er auf den Spatengriff, als ob Zauberei im Spiel gewesen wäre. Er begann hastig zu graben und sagte eine ganze Weile überhaupt nichts.
    Da er aber ein bißchen vor sich hin lächelte, wagte Mary ihn wieder anzusprechen.
    »Hast du einen eigenen Garten?« fragte sie.
    »Nein, ich bin Junggeselle und bin bei Martins in Pension.«
    »Wenn du aber einen hättest, was würdest du pflanzen?«
    »Kohl und Kartoffeln und Zwiebeln.«
    »Aber wenn es ein Blumengarten wäre?« Mary blieb hartnäckig.
    »Knollen, schöne duftende Blumen — vor allem aber Rosen«, antwortete er.
    Marys Gesicht hellte sich auf. »Magst du Rosen?« fragte sie.
    Ben Weatherstaff zog eine Unkrautwurzel aus der Erde und warf sie beiseite, ehe er antwortete.
    »Nun ja, ich mag sie. Das habe ich gelernt von einer jungen Dame, bei der ich als Gärtner arbeitete. Sie hatte eine Menge Rosen in einem Garten, den sie liebte, und sie hatte sie so gern wie Kinder oder Rotkehlchen. Ich habe gesehen, wie sie sich über sie beugte und sie küßte.« Er zupfte noch mehr Unkraut aus und sah stirnrunzelnd darauf nieder. »Das ist jetzt zehn Jahre her.«
    »Wo ist sie jetzt?« fragte Mary gespannt.
    »Im Himmel«, erwiderte er und stieß seinen Spaten tief in die Erde. »Wenigstens sagt das der Pfarrer.«
    »Was ist aus den Rosen geworden?« fragte Mary noch gespannter.
    »Sie blieben sich selbst überlassen.«
    Mary wurde ganz aufgeregt. »Sind sie gestorben? Sterben Rosen, wenn man sie sich selbst überläßt?«
    »Nun, ich hatte die Rosen gern und — ich hatte die Dame gern — und sie hatte die Rosen gern —« Ben Weatherstaff stotterte. »Ein- oder zweimal im Jahr habe ich mich um sie gekümmert — ich habe sie beschnitten und die Wurzeln bearbeitet. Sie sind natürlich verwildert, aber der Boden war gut — na ja, manche von ihnen sind wohl am Leben geblieben.«
    »Wenn sie keine Blätter haben und grau und braun aussehen, wie kann man da feststellen, ob noch Leben darin ist?« forschte Mary weiter.
    »Warten, bis der Frühling kommt, warten, bis die Sonne kommt und Regen und wieder Sonne. Dann wirst du es herausfinden.«
    »Wie denn aber — wie?« rief Mary und vergaß jede Vorsicht.
    »Schau die Zweige an, und wenn du hier und da ein braunes Knötchen findest, dann beobachte, wie es nach einem warmen Regen aussieht.« Er hielt plötzlich inne und schaute verwundert in ihr eifriges Gesicht.
    »Was kümmerst du dich plötzlich darum, wie das mit den Rosen ist?« fragte er.
    Mary wurde rot.
    »Ich möchte spielen, daß ich einen eigenen Garten habe«, stammelte sie. »Ich — ich habe ja nichts anderes zu tun. Ich habe nichts und

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