Der geheime Garten
so ist das!« rief er aus, und in seiner Stimme klangen Bewunderung und Zuneigung mit.
»Ich habe nichts anderes zu tun«, sagte Mary. »Nichts gehört mir. Ich habe ihn selber gefunden und bin ganz allein hineingegangen. Ich war wie das Rotkehlchen, und sie würden den Garten dem Rotkehlchen doch nicht wegnehmen wollen, oder?«
»Wo ist er?« fragte Dickon leise.
Mary erhob sich vom Baumstumpf. »Komm mit«, sagte sie, »ich will ihn dir zeigen!«
Sie führte ihn durch die Lorbeerbüsche zu der Stelle, wo der Vorhang aus Efeu über die Mauer hing. Dickon folgte ihr mit einem zugleich neugierigen und mitleidigen Ausdruck im Gesicht. Er wußte, jetzt mußte er behutsam vorgehen — wie wenn man zu einem ganz besonderen Vogelnest geführt wurde. Als sie auf die Mauer zutrat und den Efeuvorhang zur Seite schob, erstarrte er. Da war ein Tor. Mary stieß es langsam auf. Zusammen gingen sie hinein. Mary hob die Hand und deutete triumphierend in die Runde.
»Das ist er«, sagte sie. »Es ist ein geheimer Garten. Und ich bin der einzige Mensch, der will, daß er lebt.«
Dickon schaute und schaute.
»Ja«, sagte er endlich, »das ist ein seltsamer, ein schöner Garten. Er ist wie ein Traum.«
Das Nest der Drossel
Minutenlang schaute Dickon um sich, dann trat er sachte ein paar Schritte vor, noch behutsamer, als Mary es getan hatte, als sie zum erstenmal hier eingedrungen war. Seine Augen schienen alles wahrzunehmen, die grauen Bäume, die braunen Rosenranken. Er sah die Ranken herunterhängen, sah, daß sie am Boden weitergekrochen waren; er betrachtete die Lauben und die hohen Pflanzenkübel.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich diesen Garten einmal sehen würde«, sagte er flüsternd.
»Wußtest du etwas davon?« fragte Mary. Sie hatte es laut gesagt, und er machte ihr ein Zeichen, leise zu reden.
»Wir müssen hier leise sprechen«, flüsterte er; »jemand könnte uns hören und sich wundern.«
»O ja, das hätte ich beinah vergessen«, rief Mary erschrocken und legte schnell ihre Hand auf den Mund. »Hast du von dem Garten gewußt?« flüsterte sie wieder, nachdem sie sich beruhigt hatte.
Dickon nickte.
»Martha erzählte mir, daß es einen Garten gebe, den niemand betritt. Ich hab' mir schon immer überlegt, wie er wohl aussehen mochte.«
Er schwieg und betrachtete das braune Rankenwerk ringsumher. Seine runden Augen sahen irgendwie glücklich aus.
»Die vielen Nester hier, stell sie dir im Frühling vor! Es muß der sicherste Platz zum Nisten in ganz England sein. Niemand kommt hierher, und es gibt so viele Ranken und Zweige, um darin ein Nest zu bauen.«
Mary legte wieder ihre Hand auf seinen Arm.
»Werden hier Rosen blühen?« flüsterte sie. »Kannst du das feststellen? Ich dachte, sie seien vielleicht alle tot.«
»O nein, bestimmt nicht alle«, antwortete er. »Sieh hier!«
Er ging auf den nächsten Baum zu, dessen Rinde ganz mit Flechten bewachsen war. Der Baum schien sehr, sehr alt zu sein, aber er trug ein dichtes Gehänge von Zweigen und Ranken. Dickon nahm ein großes Taschenmesser hervor und öffnete es.
»Eine Menge Holz ist trocken und sollte weggeschnitten werden. Manches ist ganz alt, aber da sind auch junge Triebe vom vorigen Jahr. Das hier ist ein neuer Zweig.« Er nahm einen Zweig in die Hand, der bräunlichgrün und nicht grau aussah. Mary griff nach dem Zweig. Sie tat es fast ehrfürchtig. »Diesen meinst du? Ist er lebendig — ganz, ganz lebendig?«
Dickons Mund lachte von einem Ohr zum anderen.
»Der ist quicklebendig, wie du und ich«, sagte er.
»Ich bin glücklich, daß er quicklebendig ist«, flüsterte sie. »Ich möchte, daß sie alle quicklebendig sind. Laß uns durch den ganzen Garten gehen und sehen, wie viele noch leben.« Sie keuchte fast vor Eifer, und auch Dickon war ganz aufgeregt. Sie gingen nun von einem Busch zum anderen. Dickon hielt sein Messer in der Hand. Hin und wieder deutete er auf Zweige, die ihm frisch vorkamen.
»Sie sind verwildert«, sagte er, »aber die stärksten Zweige sind noch in Ordnung. Die schwächeren sind abgestorben, die anderen sind gewachsen und gewachsen, haben sich ausgebreitet und immer weiter ausgebreitet, es ist fast ein Wunder. Schau her«, und er zog einen starken grauen Zweig, der ganz vertrocknet aussah, näher heran. »Man könnte meinen, daß er tot ist, aber ich glaube es nicht — nicht bis hinunter zur Wurzel. Ich schneide ihn ganz tief unten ab, und dann werden wir sehen.«
Er kniete nieder und schnitt den trockenen
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