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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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in der kleinen Mary seinen Meister gefunden hatte — und umgekehrt.
    Das Dienerzimmer hatte Colins Anfälle längst satt. Der Butler, selbst ein Familienvater, hatte mehr als einmal seine Meinung zum Besten gegeben. Er fand, eine Tracht Prügel sei das beste Heilmittel für den Kranken.
    Als das Frühstück nun auf dem Tisch stand, verkündete Colin seiner Pflegerin feierlich:
    »Ein Junge, ein Fuchs und eine Krähe, zwei Eichhörnchen und ein neugeborenes Lamm kommen mich heute besuchen. Ich wünsche, daß sie sofort zu mir gebracht werden. Man soll nicht im Dienerzimmer oder auf der Treppe mit ihnen zu spielen anfangen. Ich möchte sie sofort sehen.«
    Die Schwester schluckte vernehmlich, versuchte aber, den Laut mit einem Husten zu verbergen.
    »Ich sage dir, was du tun kannst«, überlegte Colin und winkte gnädig mit der Hand. »Du kannst Martha bitten, sie hierherzuführen. Der Junge ist Marthas Bruder. Er heißt Dickon, und er ist ein Tierbezauberer.«
    »Ich hoffe nur, daß die Tiere nicht beißen«, sagte die Schwester.
    »Ich sagte eben, daß er sie bezaubert! Beschwörer nennt man solche Leute. Die Tiere beißen ihre Beschwörer nicht.«
    »Es gibt Schlangenbeschwörer in Indien«, sagte Mary, »die können sogar ihren Kopf in das Maul einer Schlange legen.«
    »Du liebe Zeit«, entsetzte sich die Pflegerin. Sie aßen ihr Frühstück, während die Morgenluft hereinflutete. Colin aß gierig, und Mary beobachtete ihn mit ernsthaftem Interesse.
    »Du wirst dicker werden, so wie ich«, sagte sie. »Ich mochte mein Frühstück nie, als ich in Indien war, aber jetzt esse ich es jeden Morgen gern.«
    »Heute morgen schmeckt es mir auch. Wann, glaubst du, wird Dickon kommen?«
    Er brauchte nicht mehr lange zu warten. Nach wenigen Minuten hob Mary die Hand.
    »Horch!« sagte sie. »Hörst du die Krähe?« Colin lauschte und hörte den seltsamsten Laut, den man je im Innern eines Hauses vernommen hat, das »Krah — Krah« einer Krähe.
    »Das ist Ruß«, sagte Mary. »Und da — hörst du das Mäh — Mäh?«
    »O ja!« rief Colin freudestrahlend.
    »Das ist das neugeborene Lämmchen.«
    Dickons Schuhe waren schwer und klobig. Wiewohl er sich bemühte, behutsam aufzutreten, machten sie ziemlich viel Lärm, als er durch die Korridore ging. Mary und Colin hörten die Schritte — sie kamen näher und näher, bis Dickon schließlich auf dem Teppich in Colins Zimmer stand.
    »Bitte, Master Colin«, sagte Martha, »das ist Dickon mit seinen Tieren.«
    Dickon kam näher und lächelte sein breites Lächeln. Das neugeborene Lamm trug er auf dem Arm, der Fuchs trottete an seiner Seite, Nuß saß auf seiner linken Schulter und Ruß auf seiner rechten, Schale guckte aus der Jackentasche.
    Colin richtete sich hoch auf und staunte und staunte. Trotz allem, was er über den Jungen aus dem Moor zu wissen glaubte, hatte er sich keine richtige Vorstellung davon gemacht, wie Dickon wirklich war und wie eng die Tiere zu ihm gehörten. Sie waren ein Teil von ihm. Colin hatte noch nie mit einem Jungen gesprochen, und er war vor Freude ganz überwältigt und so von Neugier gepackt, daß er nicht sprechen konnte.
    Aber Dickon war durchaus nicht scheu oder linkisch. Er war ja auch nicht verlegen gewesen, als er damals gespürt hatte, daß die Krähe seine Sprache nicht verstand und ihn bei der ersten Begegnung nur angestaunt und nicht mit ihm geredet hatte. So waren sie alle, ehe sie herausfanden, wer er war.
    Er trat zum Sofa und legte das neugeborene Lamm auf Colins Schoß. Sogleich kuschelte sich das kleine Ding in den weichen Samt des Morgenrockes, schnüffelte in den Falten und stieß mit seinem Köpfchen Colin in die Seite. Kein Junge hätte es fertiggebracht, in diesem Augenblick nichts zu sagen.
    »Was tut es?« rief Colin. »Was will es denn?«
    »Es verlangt nach seiner Mutter«, lachte Dickon. »Ich habe es ein bißchen hungern lassen, weil ich mir dachte, du würdest es sicher gern füttern.«
    Er kniete nieder und zog eine Babyflasche aus seiner Tasche. »Na, komm Kleines«, sagte er und bog den kleinen weißen Wollkopf mit seiner braunen Hand zärtlich zur Seite. »Das ist es, was du brauchst. Das schmeckt besser als Samt. So, paß auf!« Er steckte den Gummisauger in das kleine Maul. Das Lämmchen begann mit großem Eifer zu saugen.
    Danach war der Bann gebrochen. Alle drei redeten durcheinander. Als das Lämmchen eingeschlafen war, kamen Fragen ohne Ende. Dickon beantwortete sie alle. Er erzählte, wie er das Lämmchen

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