Der geheime Name: Roman (German Edition)
Susanne. Ich habe euch gefunden. Morgen komme ich und hole euch!‹«
Ihre Mutter nickte langsam. Ihre Stimme klang leise. »Ja. So in etwa.«
Fina lachte auf. »So was Bescheuertes! Wieso sollte er das tun? Nach fast neunzehn Jahren müsste er doch wissen, dass wir dann weg sind. Wenn er uns ernsthaft holen will – warum taucht er dann nicht einfach vor unserer Tür auf?«
Ihre Mutter trat auf sie zu. »Ach Süße. Ich weiß es nicht. Das frage ich mich doch auch immer.«
Fina wich vor ihr zurück. »Nenn mich nicht Süße! Ich bin kein Baby mehr. Und deine ganze, komische Story – weißt du, wonach die klingt? Nach einer ganz beschissenen Lüge! Das Märchen kannst du vielleicht einem Kind erzählen. Aber ich bin kein Kind mehr!«
Das Gesicht ihrer Mutter schien verzweifelt, Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Fina …«
»Nein!« Fina hob die Hand. »Ich gehe duschen!« Sie wandte sich ab, rannte die Treppe hoch ins Obergeschoss. Sie musste endlich allein sein, musste endlich verstehen, was hier vorging.
Doch erst, als das warme Wasser auf ihren Körper herabprasselte und den klebrigen Schweiß von ihrer Haut wusch, konnte sie ihre Gedanken ein wenig ordnen.
Was bedeutete das alles? Ihre Mutter hatte mit jemandem telefoniert. Aber mit wem? Jemand, der Fina kannte?
Sie überlegte, welche Verwandten in Frage kamen. Eigentlich gab es nur noch ihre Großeltern in der Familie. Aber mit denen hatte ihre Mutter sich schon zerstritten, bevor Fina geboren wurde.
Vielleicht ein Angestellter ihrer Mutter? Oder ein alter Freund von früher?
Fina kannte niemanden von früher, und ihre Mutter hatte auch niemanden erwähnt. Dennoch hatte das Telefonat den Anschein erweckt, als würde sie den Fremden schon lange kennen, als wäre sie schon lange mit ihm zusammen. Wer auch immer der Fremde am Telefon war: Ihre Mutter liebte ihn. Sie waren ein Paar und trafen sich heimlich, wenn Fina schlief.
Warum eigentlich heimlich? Warum durfte sie nichts von ihm wissen? Damit sie keine Hoffnung schöpfte? Damit sie nicht glaubte, dass sie bald einen Stiefvater bekam und vielleicht auch ein sesshaftes Leben? Oder fürchtete ihre Mutter, dass sie eifersüchtig wäre?
Fina wurde nicht schlau daraus. Und überhaupt: Wie lange ging das eigentlich schon so?
»Wenn sie schläft …« Fina musste schlucken. Plötzlich dachte sie an eine Nacht vor sieben oder acht Jahren. Ja, sie musste elf gewesen sein, damals in Kanada. Mitten in der Nacht war sie von einem Alptraum aufgewacht. Aber als sie zu ihrer Mutter gehen wollte, war deren Bett leer. Stattdessen hatte sie Stimmen und Lachen von der Terrasse gehört und war lieber schnell wieder ins Bett geschlichen. Plötzlich erinnerte sie sich an das fremde Männerlachen, das so intim geklungen hatte wie das ihrer Mutter vorhin im Büro.
Oder noch früher, als sie ganz klein war – immer wieder waren Babysitter bei ihr gewesen, während ihre Mutter ausgegangen war. Fina hatte damals noch nicht darüber nachgedacht, ob ihre Mutter allein ausging oder ob es womöglich einen Begleiter gegeben hatte.
War es immer derselbe, oder hatte sie wechselnde Freunde?
Fina dachte an das glückliche Strahlen ihrer Mutter. So, als wäre sie frisch verliebt. Aber wenn sie ihren Freund noch nicht lange kannte, warum interessierte er sich dann für Fina?
Sie schauderte. Wie konnte so etwas sein?
Das Wasser wurde kühler. Offensichtlich hatte sie den Boiler leer geduscht.
Fina streckte noch einmal ihr Gesicht unter den erfrischenden Strahl und drehte das Wasser anschließend aus.
»Verflucht. Was bedeutet das alles?« Sie flüsterte vor sich hin, während sie nach einem Handtuch angelte und ihren Körper abrubbelte.
Als sie gerade anfing, ihre Haare auszuwringen, wusste sie, was sie tun musste: Wer auch immer der Fremde war – er kam morgen ins Dorf. Sobald sie schlief, würde ihre Mutter ihn bei Gustav treffen.
Bitte, das konnte Susanne haben. Fina würde morgen Abend sehr müde sein.
2. Kapitel
D en ganzen Tag lang wich Fina ihrer Mutter aus. Sie ging wieder nach draußen, mistete bei dem Pferd den Stall aus und fotografierte mit ihrem Makroobjektiv schillernde Mistfliegen, die ihre Rüssel in einen Pferdeapfel tauchten. Sie schob die Stalllampen zurecht, um eine dicke Spinne auszuleuchten, die gerade eine Fliege fraß – und schließlich grub der Hund einen verwesenden Knochen aus dem Misthaufen aus, in dem es von Maden nur so wimmelte. Fina ging mit der Kamera so nah heran, dass sie
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