Der geheime Name: Roman (German Edition)
ab, er wischte mit dem Handrücken über sein Gesicht und verteilte noch mehr Blut darauf. »Geh wieder rein, Fina!« Seine Augen funkelten im Mondlicht, seine Stimme duldete keinen Widerspruch.
Fina kam es vor, als würde er sie treten. Hastig zog sie den Kopf ein und kroch zurück in die Höhle. Doch sie konnte das Bild nicht vergessen, während sie sich auf ihrem Lager zusammenkrümmte: der siegreiche Krieger, der im Mondlicht sein Opfer zerteilte, so wütend und furchterregend wie der Tod selbst.
Was war mit ihm los?
Er hatte Hunger! Sie beide hatten Hunger. Und hier gab es nichts anderes als Tiere, die man jagen und schlachten konnte.
Aber warum mit dieser Wut? Wurden Menschen so, wenn sie gerade getötet hatten? Oder war er tatsächlich so schlecht gelaunt, weil sie ihn geküsst hatte?
Fina wollte sich am liebsten verkriechen, schämte sich und fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen.
Es dauerte nicht lange, bis Mora hereinkam. Im Licht des Feuers sah er noch schlimmer aus. Das Blut war überall – und zumindest ein Teil davon schien von ihm selbst zu stammen: An seinen Beinen und Hüften war er übersät von blauen Prellungen und Wunden.
»Was ist passiert?« Fina starrte ihn an. »Wer hat dich so verletzt?«
Mora warf ihr einen finsteren Blick zu. Er trug das abgehäutete Wildschwein in seinem Arm, kaum größer als ein Ferkel. In der anderen Hand hielt er einen angespitzten Stock. »Wildschweine verteidigen ihre Familien.«
Fina zuckte zusammen. Da war es schon wieder, dieses Wort: Familie. Der Herr war Moras Familie. Die unsichtbare Kreatur hatte ihm dort draußen offenbar nichts getan – obwohl sie genug Zeit gehabt hätte.
Mora trieb den spitzen Stock durch den aufgerissenen Leib. Finas Magen wollte sich umdrehen, als er das Ferkel rundherum sorgfältig mit Salz einrieb und es an dem Eisengestell über das Feuer hängte.
»Du musst es regelmäßig wenden.« Moras Stimme klang noch immer hart. Ohne einen weiteren Blick griff er nach seinem großen Bottich und verschwand wieder nach draußen.
Eine Weile konnte Fina hören, wie er neben der Höhle hin und her lief. Dann entfernten sich seine Schritte mit dem klappernden Bottich.
* * *
Seit der Jagd war das Blut des Geheimen zu aufgewühlt, um zu schlafen. Er hatte noch viel zu tun, ehe das Weibchen zu ihm kommen würde. Doch der Ring an seinem kleinen Finger wurde immer heißer, brannte schließlich so nachdrücklich auf seiner Haut, dass er den gehäuteten Keiler in der Schlachtkammer zurückließ und sich auf sein Lager legte.
Der Zeitpunkt, auf den er gewartet hatte, war gekommen: Es war mitten in der Nacht. Die Müllerstochter schlief schon seit langem, kehrte bereits aus den tiefsten Schlafphasen zurück an die Oberfläche. Bald würde sie träumen, bald konnte er sie treffen – um ihr endlich zu zeigen, was er schon so lange vor ihr verbarg.
Der Geheime griff nach dem Ring, drehte daran und schloss die Augen. Im nächsten Moment sah er Morasal vor sich, wie er mit dem Bottich durch den Wald lief, sein Körper mit Blut beschmiert und sein Gesicht so finster, dass jedes Weibchen vor ihm zurückschrecken musste.
Das Menschenscheusal war wach. Es würde die Zuschauer nicht bemerken und ihnen ein Bild zeigen, das nichts verheimlichte.
Der Geheime drehte den Ring in die andere Richtung. Er konnte wahrnehmen, wie die Müllerstochter den Wald erreichte, wie sie durch das Unterholz in seine Richtung irrte. Sie hatte noch nicht begriffen, wo sie war, von wem dieser Traum stammte. Noch nie hatte der Geheime sich in diesem Teil des Waldes mit ihr getroffen.
Er folgte Morasal durch den Schnee bis zum Bach. Mit seinen klobigen Menschenstiefeln balancierte der Diener über die Eisränder, die den Bachlauf vom Ufer aus zugefroren hatten. Nur ein schmales Rinnsal war noch frei vom Eis, zu schmal, um den Bottich hineinzutauchen.
In diesem Moment erschien die Müllerstochter auf der anderen Seite des Baches, entdeckte Morasal und hielt inne. Das Erkennen huschte über ihr Gesicht, während sie auf die bräunliche Haut des Jungen starrte, auf seine schwarzen Haare. Ihr Blick fing sich auf dem Blut, das sein T-Shirt durchtränkte und sich in dunklen Schlieren über seinen Körper zog.
Der Geheime wollte über die Schuldgefühle kichern, die sich in ihrer Miene widerspiegelten. Er wollte über die Pein spotten, die sie sich und dem Jungen zugefügt hatte – nur um ihre Tochter zu retten. Doch er hielt sich zurück. Er wollte noch eine Weile
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