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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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zuschauen, ohne von ihr bemerkt zu werden.
    Die Müllerstochter ging auf Morasal zu, streckte ihre Hand nach ihm aus. Aber der Geheime blickte auf den Schnee zu ihren Füßen und fing an, ihren Traum zu lenken. Mit jedem Schritt, den sie machte, dachte er den Abstand zum Ufer größer, so dass sie Mora niemals näher kam. Sie fing an zu rennen, um ihn zu erreichen, rief dem Jungen zu, damit er wenigstens zu ihr aufsah.
    Doch Mora bemerkte sie nicht. Er war wach, und sie schlief, er erlebte diesen Moment in der Wirklichkeit, während es für sie nur eine Illusion war.
    Mora tauchte die Hand ins Wasser, brach ein Stück vom Eis ab, um das Loch zu vergrößern. Plötzlich wurde er schnell. Immer wieder griff er nach den Eisrändern, stemmte sich mit dem ganzen Körper in die Bewegung, um den Widerstand der dicken Eisschicht zu brechen. Bald flatterte sein Keuchen durch den Wald, mischte sich mit einem verzweifelten Winseln.
    Die Müllerstochter blieb erschöpft stehen, stützte sich auf die Knie und starrte auf den Jungen, wie er den Bottich anhob und auf das Eis einschlug. Das Eis klang hohl unter dem Schlag, nur das Holz knirschte, als wollte es unter der Wucht zerbersten.
    Mora warf den Bottich beiseite. Mit einem wütenden Aufschrei sprang er auf dem Eisrand herum. Das Eis bebte und knirschte unter seinen Stiefeln. Moras Schreie wurden immer lauter, immer verzweifelter, erzählten immer mehr von der Qual, die in seinem Inneren tobte.
    Plötzlich gab das Eis nach, eine große Platte brach vom Ufer und riss Mora mit sich ins Wasser. Er strauchelte, verlor das Gleichgewicht und fiel in die eisige Flut. Seine Knie schlugen auf den Kieselsteinen auf, sein Schrei mündete in einem schmerzerfüllten Brüllen.
    Gleich darauf verstummte er. Nur sein Mund blieb geöffnet, lautlos stieg der Atemnebel vor seinem Gesicht auf. Ein heftiges Zittern lief durch seinen Körper, bevor er die Augen schloss und sich langsam nach vorne fallen ließ. Sein Bauch tauchte ein, seine Brust, seine Schultern, bis auch sein Kopf im Wasser versank. Der Bach spülte über seine Haare hinweg, wusch das Blut von seinem Oberkörper und trieb es über seine Beine davon.
    Die Müllerstochter schrie, versuchte ein weiteres Mal, zu dem Jungen zu gelangen, doch der Geheime ließ ihre Bewegung erstarren, bannte sie in einem Alpdruck und zwang sie dazu, hilflos zuzusehen. Er genoss diesen Moment, in dem Moras Körper im eisigen Wasser zuckte, in dem es aussah, als würde er sterben. Der Geheime hielt die Zeit an und machte aus wenigen Sekunden lange, quälende Minuten. Er legte ein falsches Bild über das wirkliche, ließ Moras Haare zu Eis gefrieren und zog die Eisschicht von dort aus über seinen ganzen Körper, bis er umgeben war von einer gläsernen Hülle.
    Die Müllerstochter wollte schreien, der Geheime spürte es, doch ihr Gesicht war in der Regungslosigkeit gefangen. Er ließ die Zeit weiterlaufen. Mora fuhr auf, schnappte nach Luft und keuchte. Die gläserne Hülle zerbarst, regnete in tausend Eissplittern zurück ins Wasser. Es waren nur ein paar Sekunden, bevor Moras Körper in einem mächtigen Beben erzitterte und kraftlos zusammensackte. Er fiel auf die Seite, rollte sich wie ein Embryo im Bachbett zusammen und blieb liegen.
    Wieder hielt der Geheime die Zeit im Traum der Müllerstochter an, ließ es so aussehen, als würde Mora einfach unter Wasser liegen bleiben, obwohl er in Wirklichkeit sofort wieder aufgesprungen war. Für die Augen des Weibchens dehnte der Geheime den Augenblick endlos, während er sich näher heranschlich.
    Direkt neben Morasal blieb er stehen und sah zu der Müllerstochter am anderen Ufer. Sie erkannte ihn, rebellierte gegen ihre starre Hülle.
    Der Geheime ließ ihren Alpdruck fallen, ihr hysterisches Kreischen sprang ihn an: »Wir müssen ihm helfen! Er kann dort nicht liegen bleiben! Er wird erfrieren!«
    Der Geheime kniff die Augen zusammen und blickte auf seinen Diener. »Meint sie das dreckige Menschenscheusal, das sie ihm brachte? Tut es ihr nun leid, dass sie ihn betrogen hat? Fühlt sie jetzt, was sie dem fremden Kind angetan hat, um ihr eigenes zu retten?«
    Die Menschenhure schrie auf, kreischte ihn mit einem bestialischen Laut an, in dem sie ihre ganze Hilflosigkeit offenbarte. Nicht einmal Worte fand sie, um ihre Wut auszudrücken.
    Der Geheime kicherte über sie, sah ihr zu, wie sie ansetzte, um über den Bach zu springen, und ließ sie an einer unsichtbaren Wand zurückprallen. Sie fiel nach hinten,

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