Der geheime Name: Roman (German Edition)
schlafen, wollte ihren Körper in Besitz nehmen, ähnlich wie sie es in dieser Nacht getan hatten. Und doch ganz anders. Denn Fina würde es nicht wollen. Sie würde den Herrn hassen, sie würde sich wehren. Aber der Geheime war so stark, so schnell. Wenn er etwas wollte, dann nahm er es sich. Er würde seine Peitsche über ihren Körper ziehen, wenn sie nicht gehorchte. Er würde sie prügeln, bis sie still lag, und dann über ihr Geheimnis herfallen.
Mora konnte nichts gegen den verzweifelten Laut tun, der aus seiner Kehle drängte, gegen die Tränen, die in seine Augen strömten.
Fina murmelte, drehte sich im Schlaf, wälzte sich hin und her. Ihr Murmeln veränderte sich, wiederholte immer wieder das gleiche, unverständliche Wort, bis es schließlich zu verstehen war: »Familie.«
Fina schreckte auf, saß für einen Moment nackt vor ihm, bevor sie hastig die Felle über ihre Brust zog und ein kleines Stück zurückwich.
Mora wischte die Tränen beiseite, um sie besser zu sehen. Ihre Augen waren weit, entsetzt, und plötzlich schien es ihm, als wüsste sie, dass er sie verraten sollte.
* * *
»Er ist meine Familie, meine Familie, meine Familie …« Der Satz aus ihrem Alptraum drehte sich in ihrem Kopf. Sie sah Mora vor sich stehen, während er es sagte, neben der Tür, kurz bevor er sie nach draußen führte. Und sie sah ihn jetzt vor sich sitzen, mit Tränen in den Augen, so verzweifelt, als wollte er seine Schuld gestehen.
»Warum hast du das gestern gesagt?«, stammelte sie. »Warum hast du gesagt, dass dein Herr deine Familie ist?«
Mora starrte sie an, nur eine Sekunde, bevor er den Kopf in die Hände stützte und sein Gesicht dahinter verschwinden ließ. Sein Körper zuckte, unmöglich zu sagen, ob er heulte oder lachte. »Er ist meine Familie, weil … weil ich bei ihm aufgewachsen bin. So wie du bei deiner Mutter.«
Fina fing an zu zittern. Sie musste ihn fragen, musste es wissen, auch wenn seine Antwort ihr das Herz brechen würde: »Als du das gestern gesagt hast, da dachte ich, es wäre deine Entschuldigung, warum du mich an deinen Herrn auslieferst. Warum du loyal sein musst … zu deiner Familie.«
Mora keuchte, löste die Hände von seinem Gesicht. Sein Blick riss ein Loch in den Boden unter ihr. Fina wollte nach Mora greifen, wollte sich an ihm festhalten – aber ausgerechnet er war derjenige, der sie in den Abgrund stieß.
Sie hatte recht! Mit allem! Mora sollte sie zu seinem Herrn bringen.
»Fina, nein!« Er winselte, heulte. »Ich werde dich nicht ausliefern.« Er fasste ihre Schultern, fing sie auf in ihrem Fall und zog sie an sich. Er strich über ihren Rücken, hauchte in ihre Haare. »Gestern, da wusste ich noch gar nicht, was Familie bedeutet. Und heute …« Er küsste ihre Schläfe, ließ seine Lippen zu ihrem Ohr wandern. »… heute weiß ich, dass du meine Familie bist.«
Fina schloss die Augen. Sie sackte in seine Arme, klammerte sich an ihn. Sie fühlte seine Tränen an ihrer Wange, schmeckte das Salz in ihrem Mund.
Mora grub sein Gesicht in ihre Halsbeuge. »Ich habe dich viel zu lange bei mir behalten. Jetzt musst du fortgehen. Sofort.«
* * *
Der Moorwald lag still und eingefroren unter der Schneedecke da, wirkte fast so harmlos wie ein verschneites Birkenwäldchen – gäbe es nicht die dunklen Mooraugen, die tückisch aus dem Weiß hervorlugten.
Mora führte sie so sicher über den Pfad, als könnte er ihn durch die Schneedecke erkennen. Schweigend lief Fina hinter ihm her, bis sie die Stelle erreichten, an der sie in die normale Welt zurückkehren konnte. Mit zitternden Händen streute Mora ein Salztor auf den Boden und drehte sich zu ihr um. Fina erkannte seine rotgeweinten Augen, seine bebenden Lippen, kurz bevor er sie in die Arme zog.
»Warum kommst du nicht mit mir?«, flehte sie. »Das Salztor liegt vor dir, du kannst ganz einfach darüber gehen.«
Mora antwortete nicht. Er fing nur an, sie zu küssen, so wild und verzweifelt, als wäre es das letzte Mal.
Es durfte nicht das letzte Mal sein. »Mora!« Fina drückte ihn von sich. »Du musst mitkommen! Bitte!«
Er senkte den Blick. »Es geht nicht.«
»Warum nicht?« Fina schniefte, neue Tränen strömten in ihre Augen.
Mora trat auf der Stelle. »Wenn ich jetzt mitkomme, dann wird er uns auf immer verfolgen. Nichts bedeutet ihm mehr als ein Versprechen. Und du bist ihm versprochen worden, Fina. Also muss ich ihn für dich töten. Nur so kannst du frei sein.«
Fina strauchelte, fiel in Moras
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