Der geheime Name: Roman (German Edition)
»Ihr könnt sie nicht einfach mitnehmen! Sie ist erwachsen. Es ist ihre Entscheidung, wo sie sein will!«
»Sie ist in Gefahr!«, schrie Susanne zurück. »Das hab ich dir doch erklärt.«
»Oma!« Fina rief nach draußen, krabbelte über den Sitz auf die andere Seite und wollte die Tür öffnen. Aber sie war verriegelt. Hinter ihr fiel die zweite Tür ins Schloss, und mit einem Klacken rastete die Kindersicherung ein. »Lasst mich raus!« Fina brüllte, klopfte gegen die Scheiben, trat gegen die weißen Ledersitze und hielt erst inne, als sie sah, wie sich die Lippen ihrer Großmutter bewegten.
»… ist verliebt.« Klaras Stimme klang nur dumpf in ihrem Blechkäfig. »Ihr könnt sie nicht …« Die Fahrertür wurde aufgerissen, verschluckte einen Teil ihrer Worte und ließ nur den letzten Teil des Gesagten laut und deutlich nach innen dringen: »… wegreißen!«
»Wir bringen sie nur in Sicherheit!« Ihre Mutter öffnete die Beifahrertür.
Fina starrte ihre Eltern an, die sich nahezu zeitgleich ins Auto fallen ließen und die Türen zuschlugen. Ein letztes Mal versuchte sie, die Tür zu öffnen, aber es war vergeblich. Der Wagen fuhr los, die Reifen knirschten auf dem Schotter. Fina warf noch einen Blick auf das verzweifelte Gesicht ihrer Großmutter, kniete sich auf den Rücksitz und sah durch das Heckfenster, bis die Mühle aus ihrem Sichtfeld verschwand.
»Lasst mich raus!« Fina schrie, wirbelte herum und trommelte auf die Schulter ihres Vaters.
Ein leises Surren ertönte, nur einen kurzen Moment, bevor sich etwas gegen ihre Arme drängte: eine Glasscheibe, die sich zwischen sie und ihre Eltern schob.
Fina wich zurück, starrte auf die Trennwand, die sie auf der Rückbank der Limousine einsperrte. Unerbittlich setzte das Auto seinen Weg fort, über schmale Straßen zwischen roten Fachwerkhäuschen, Wald und Pferdekoppeln, bis es die Landstraße erreichte. In der nächsten Sekunde beschleunigte es, drückte Fina in ihren Sitz und ließ jeglichen Widerstand von ihr abfallen. Sie sackte in sich zusammen und schloss die Augen.
* * *
Mora konnte kaum noch atmen, als er durch das Moor zurücklief. Er hatte Fina belogen, hatte ihr die Wahrheit verschwiegen, damit sie bereit war zu gehen. Liebend gerne wäre er mit in ihre Welt gekommen. Für einen Moment war er versucht gewesen, einfach über das Salztor zu treten.
Doch der Herr hatte ihn davor gewarnt, den Tarnkreis zu verlassen. Sie beide seien an das Waldgebiet gebunden, das rund um das Moor liege. Nur unter der Tarnglocke, die der Geheime erschaffen habe, könnten sie leben. Wenn sie über ein Salztor hinausträten, würden sie sterben.
Der Herr persönlich hatte dafür gesorgt, dass der Bannkreis seinen Diener genauso band wie ihn selbst. Damit er ihm nicht entfliehen konnte.
Mora wusste nicht, ob er selbst befreit würde, falls sein Herr starb. Er wusste nur, dass der Geheime Tausende von Jahren alt war und dass er vermutlich niemals sterben würde.
Mora erreichte den Rand des Moorwaldes, seine Knie gaben unter ihm nach und ließen ihn auf den Boden sinken. Allzu oft hatte er sich vorgestellt, seinen Herrn zu töten. Mit jedem Schlag, den er einstecken musste, war seine Wut glühender geworden. Mit einem Messer hatte er auf den Geheimen losgehen wollen, oder mit der Axt. Doch der Alte hatte die Glut in Moras Augen erkannt, hatte über ihn gelacht und ihn verhöhnt, dass er es nicht versuchen sollte, weil er sich nur selbst mit der Waffe töten würde.
Mora wusste nicht, ob es nur eine Drohung war oder die Wahrheit. Doch versucht hatte er es nie. Vor allem ein Grund hatte ihn davon abgehalten: Ohne den Herrn wäre er allein. Er war der Einzige, der mit Mora sprach, der Einzige, der jemals bei ihm gewesen war. Er hatte ihn großgezogen, hatte ihn als Baby auf dem Arm gehalten – wie eine Mutter.
Mit einem Schlag fiel die Einsamkeit über Mora her, dasselbe Gefühl, das ihn befallen hatte, nachdem der Herr ihn in seine eigene Höhle verbannt hatte. Auch wenn der Geheime von einem Auftrag gesprochen hatte – es fühlte sich an wie eine bestialische Strafe, fast noch schlimmer als all die Schläge, die er sein Leben lang erlitten hatte.
Selbst, wenn es möglich wäre – Mora könnte ihn nicht töten.
Der Herr hatte gesagt, dass er stolz auf ihn sei, dass Mora ein würdiger Diener sei und dass er großes Vertrauen in ihn setze. Selbst in der Erinnerung fühlten sich die Worte schön an.
Jetzt, nachdem Fina fort war, war der Herr der
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