Der geheime Name: Roman (German Edition)
Immobilien. Ich habe meine Lüge einfach wahr gemacht, habe meine Ausbildungsstelle gekündigt und mein Abitur nachgeholt. Aber plötzlich bekam ich Probleme, über die ich vorher gar nicht nachgedacht hatte: Wie sollte ich meinen Eltern erklären, woher das ganze Geld stammte? Ich durfte ihnen nichts von meinem Pakt erzählen. Außerdem waren sie ja selbst ein Teil der ganzen Lüge. Meine Mutter hat nie erfahren, was wir auf unserer Kreuzfahrt alles erzählt haben. Unter anderem hat Papa behauptet, er wäre Witwer, damit er nicht auch noch über seine Frau ein Lügenmärchen erfinden musste. Ich durfte ihr also um keinen Preis gestehen, wie sehr wir sie verraten hatten.«
Susanne seufzte, ihr Blick glitt an Fina vorbei durch das Fenster in eine undefinierbare Ferne. »Aber selbst meinem Vater hätte ich das alles nicht erklären können: dass ich nun tatsächlich eine Immobilienfirma besaß. Also ging ich meinen Eltern aus dem Weg und schob alle Erklärungen vor mir her. Auch wegen des Männleins habe ich mich kaum noch in die Lüneburger Heide gewagt. Die wenigen Male, die ich noch bei meinen Eltern war, hatte ich immer Angst, dass er mir draußen im Garten oder im Wald begegnen könnte. Also habe ich sie immer seltener besucht und schließlich gar nicht mehr. Natürlich haben Robert und meine Schwiegereltern mich immer wieder nach meinem Vater gefragt. Ich solle ihn zum Essen einladen, solle ihn für ein Wochenende mit zu ihnen bringen … Irgendwann war ich so tief in meinem Lügenkonstrukt verheddert, dass ich ihnen vorgespielt habe, er wäre gestorben. Nur so konnte ich erklären, warum ich die Einladungen immer ausschlug und warum ich mich ganz allein um die Immobilienfirma kümmern musste. Außerdem war es endlich eine Erklärung für die Verzweiflung, die mich manchmal überfiel.« Tränen färbten Susannes Stimme dumpf, ihr Blick kehrte zu Fina zurück. »Ich habe meine Vergangenheit einfach abgestoßen, Fina, habe meine Eltern verleugnet und mich nie wieder bei ihnen gemeldet. Erst als mein Vater wirklich im Sterben lag, waren wir noch einmal dort. Daran erinnerst du dich vielleicht.«
Fina wich ihrem Blick aus, wirbelte herum und starrte aus dem Fenster.
Was hatte der Postbote in der Provence noch gleich gesagt? Wer einmal log, musste weiterlügen, wer immer log, wurde schnell zum Verräter. Und wenn man erst die verriet, die man liebte, verlor man alles, was einem wichtig war.
Ihre Mutter hatte alle verraten, die sie liebte – und sie hatte alle verloren.
Fina wusste nicht, ob sie ihrer Mutter verzeihen konnte. Sie konnte sich in die Geschichte hineinversetzen, konnte verstehen, warum der eine Schritt den nächsten erforderte – und trotzdem war es unbegreiflich. »Konntest du nicht einfach irgendwann die Wahrheit sagen?«, flüsterte Fina.
Ihre Mutter schwieg.
Erst nach einer ganzen Weile antwortete ihr Vater an ihrer Stelle: »Wenn man immer gelogen hat, dann klingt die Wahrheit irgendwann wie ein Märchen.«
Fina sah ihn an, presste die Lippen aufeinander, um ihre Tränen zu unterdrücken. Ihre Wahrheit war ein Märchen!
»Deine Mutter war eine Zeitlang tatsächlich sehr verstört.« Robert drehte seinen Stuhl in Finas Richtung, beugte sich ihr entgegen. »Ich habe bemerkt, dass irgendetwas ihr Leben aus dem Ruder geworfen hat. Aber sie wollte mir nie sagen, was es war. Manchmal war ich noch enttäuscht über ihr mangelndes Vertrauen. Bis ich begriffen habe, dass Vertrauen etwas ist, was bei manchen Menschen nur sehr langsam wächst. Ich dachte, deine Mutter wäre so ein Mensch, und ich wollte ihr die Zeit geben. Sie hat mich fasziniert. Denn auf der anderen Seite war sie sehr stark, sehr ehrgeizig. Sie hat sich um dieses Immobilienunternehmen gekümmert und nebenbei studiert und gelernt, als gelte es, einen Rekord zu brechen. Als sie dann erzählt hat, dass ihr Vater schon vor einiger Zeit gestorben sei, haben sich so viele Fragen geklärt, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, es anzuzweifeln.«
Fina sah zwischen ihren Eltern hin und her. Ihre Mutter starrte auf ihren Apfelkuchen, der noch immer unangetastet vor ihr stand. Fina wandte sich an ihren Vater. In diesem Moment fühlte sie sich ihm verbunden, weil er genauso belogen worden war. »Und? Wann hat sie dir die Wahrheit erzählt?«
Ihre Mutter sah auf. Ihr Blick wirkte reumütig. »Das war erst sehr viel später, Fina. Selbst bei unserer Hochzeit wusste er noch nicht, woher ich stammte, geschweige denn von meinem
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