Der geheime Name: Roman (German Edition)
Gesicht sehen, ihre Angst und eine Ahnung von dem traurigen Leben, das sie hinter sich lassen wollte. Susanne war wie ein ungeschliffener Diamant. Ungebildet und unsicher, aber mit einem wachen Funkeln in den Augen. Ich wusste, dass sie log. Aber ich war entschlossen, Aschenputtel aus ihrer Armut zu erlösen.«
Fina schloss die Augen. Sie hatte sich auch vorgenommen, jemanden aus seinem Elend zu erlösen. Mit dem Ergebnis, dass Mora ihretwegen gequält und gefoltert wurde – und sie war Hunderte von Kilometern von ihm entfernt. Fina sprang auf und lief zum Fenster, blickte durch den langen Korridor, der bis zu dem gläsernen Pavillon auf der anderen Seite des Sees führte.
»Ich war ganz erstaunt, als Robert auch nach der Reise noch mit mir zusammenbleiben wollte.« Susanne fuhr fort, ihre Stimme wurde etwas lauter, damit Fina sie gut hören konnte. »Gleichzeitig kam furchtbare Panik in mir auf, weil ich mir sicher war, dass er meine Lügen bald durchschauen würde. Wir konnten nur eine Wochenendbeziehung führen, weil Robert in Bonn gelebt hat. Das hat es etwas einfacher gemacht. Die ersten Male habe ich es so eingerichtet, dass ich ihn besuchen kam. Aber die Unterschiede zwischen uns wurden mir erst jetzt so richtig klar. Obwohl er noch Student war, lebte Robert in einer geräumigen Eigentumswohnung. An seiner Seite bin ich zu wichtigen Empfängen gegangen, in einem neuen, schillernden Cocktailkleid und trotzdem so plump wie ein Bauerntrampel. Meine Allgemeinbildung hat kaum ausgereicht für die politischen Gespräche, in die ich verwickelt wurde. Ich habe mich so geschämt für das, was ich wirklich war: nicht mehr als eine Verkäuferin, die kaum etwas anderes machte, als Waren in Regale zu räumen, und deren größtes Wissen aus den Zahlencodes bestand, die sie in die Kasse tippen musste. Ich wollte Robert um keinen Preis in das Haus meiner Eltern bringen. Er sollte den Schmutz nicht sehen, der sich über Jahrzehnte auf der alten Tapete angesammelt hatte, den bröckelnden Putz dahinter und die traurigen Gesichter meiner Eltern, die noch weniger Hoffnung hatten als ich. Er sollte nicht wissen, dass mein Vater ein Hochstapler und ein Spieler war, während meine Mutter uns mit unwürdigen Putzjobs über Wasser hielt.« Susanne seufzte. Der Löffel in ihrer Tasse klirrte, während sie ihren Kaffee umrührte. »Als Robert mich das erste Mal besuchen wollte, habe ich fast meinen ganzen Monatslohn ausgegeben, um ihn in eine gemietete Ferienwohnung einzuladen. Ich habe behauptet, das Haus wäre mein Eigentum, ein Teil des Immobilienunternehmens, das ich bald gemeinsam mit meinem Vater führen würde. Doch gleichzeitig ahnte ich schon, dass Robert anfing, mich zu durchschauen. Ich habe mir immer große Mühe gegeben, mich über das politische Geschehen zu informieren. Aber für ein politisches Gespräch mit Robert hat es nie ausgereicht. Neben ihm blieb ich ein blondgelocktes Püppchen, das ihrem klugen Freund alles nachplapperte. Ich war mir sicher, dass er sich bald von mir trennen würde. Zumal ich einen zweiten Besuch in meiner Ferienwohnung nicht finanzieren konnte und die ganze Wahrheit ans Licht gekommen wäre, wenn er auch nur ein Mal die Idee gehabt hätte, mich spontan dort zu besuchen.«
Einer der schwarzgekleideten Bodyguards erschien unvermittelt vor Fina auf der Terrasse und patrouillierte an der Fensterfront vorbei. Fina fragte sich plötzlich, ob Moras Herr bis hierher kommen konnte. Ihre Eltern schienen das zu befürchten, wenn sie gleich eine ganze Armee von Bodyguards um das Haus postierten.
Finas Blick glitt über den verschneiten Park, hielt unwillkürlich Ausschau nach blauen Fußspuren im Schnee. Fast wäre sie froh, wenn Rumpelstilzchen ihr gefolgt wäre. Dann würde er wenigstens Mora in Ruhe lassen.
Doch sie konnte weit und breit keine verdächtigen Spuren erkennen.
»Deine Mutter hat sich sehr verändert, als die Reise vorbei war.« Robert erzählte weiter. »Das fröhliche Mädchen war verschwunden und wurde ersetzt von einer ernsten, jungen Frau, die eifrig darum bemüht war, mir alles recht zu machen. Dabei wirkte sie manchmal so aufgescheucht und verwirrt, dass ich Angst um sie hatte. Ich habe mehrfach angedeutet, dass ich von ihrer Lüge wusste. Ich habe gehofft, sie würde darüber reden und mir alles gestehen. Aber sie hat es geleugnet und sich so verbittert vor mir zurückgezogen, dass ich keine Chance mehr hatte, ihr näherzukommen. Ich war furchtbar enttäuscht von ihr. Gar
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