Der geheime Name: Roman (German Edition)
Geld verdienen. Mein Ausbildungsplatz musste in der Nähe sein, damit ich weiter bei meinen Eltern wohnen konnte. Also hatte ich nur wenige Möglichkeiten, aus denen ich wählen konnte. Im Supermarkt in Wernigerode hab ich mich zur Einzelhandelskauffrau ausbilden lassen.«
Fina blickte zu ihrem Vater, sah ihm zu, wie er sich ebenfalls ein Stück Kuchen nahm und anfing zu essen. Sein Blick ruhte auf Susannes Gesicht, lauschte ihrer Geschichte, als wäre es sein Lieblingsmärchen, das er auch zum tausendsten Mal noch gerne hörte.
»Aber erst auf der Kreuzfahrt wurde mir mein ganzes Elend so richtig bewusst. Plötzlich war ich in einer reichen, schillernden Welt, in der es von gebildeten, eloquenten Leuten nur so wimmelte. Ich wollte nichts lieber, als dazuzugehören. Auch meinem Vater ging es so, und er fing an, den Mitreisenden Lügen über uns zu erzählen: dass er früher ein erfolgreicher Künstler gewesen sei, bis ein Autounfall und der Verlust seiner Hände seine Karriere beendet hätte. Er behauptete, dass er nun aber ein großes Immobilienunternehmen führe. Er kaufe alte Häuser, lasse sie geschmackvoll sanieren und verkaufe sie dann teuer weiter oder vermiete sie als Ferienimmobilien. Mein Vater hatte tatsächlich ein großes Faible für alte Häuser und konnte seine Lüge so glaubhaft ausschmücken, dass es nicht sofort auffiel.« Ein verträumtes Lächeln erschien auf Susannes Gesicht. Sie streifte Roberts Blick und lachte leise. »Und dann war da auf einmal Robert, ein Märchenprinz mit strohblonden Haaren und braunen Augen. Sein Lächeln hat mir den Atem geraubt, und sein Interesse hat mich in einen Glücksrausch versetzt, in dem ich plötzlich jemand ganz anderes war: ein fröhliches Mädchen, dem die Welt offenstand. Ich war beeindruckt von seinem Charme, von seinen gekonnten Worten und von der Leichtigkeit, mit der er Geld für mich ausgab. Auch mein Vater war beeindruckt von ihm: ein junger Politik-Student, der Diplomat werden wollte – genau wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Er war begeistert davon, dass dieser junge Mann sich für mich interessierte, und ich konnte ihm ansehen, wie sehr er schon von unserer Hochzeit träumte. Robert war mit seiner Mutter an Bord. Irgendwann hat er mir erzählt, dass so eine Kreuzfahrt eigentlich gar nicht nach seinem Geschmack sei. Aber er tat seiner Mutter einen Gefallen, die sich eine solche Reise schon lange gewünscht hatte. Schließlich saßen wir fast immer zu viert am Tisch, haben uns über Politik und Kunst unterhalten, über die größten Probleme in der Welt und über die Ästhetik von Häusern und Gärten. Mein Vater konnte besser mithalten, als ich ihm jemals zugetraut hätte – während ich mir meistens furchtbar dumm vorkam, weil ich viel zu wenig von all diesen Dingen wusste. In den Nächten hab ich oft in meiner Kabine gelegen und geheult, weil mir klarwurde, dass ich im Begriff war, meine erste große Liebe auf einer Lügengeschichte aufzubauen. Ich hatte furchtbare Angst, dass mein Traum bald zerspringen und ich dann ohne Robert in mein trostloses Leben zurückkehren würde. Irgendwann, als er sich bei einer Abendveranstaltung mit einer mittelklassigen Sängerin furchtbar gelangweilt hat, hat er mir zugeflüstert, ich sei der einzige Lichtblick an Bord und damit allerdings ein guter Grund, warum sich die Reise für ihn doch lohne. In den Nächten danach wurde ich den Gedanken nicht los, dass ich für Robert vielleicht nur ein lustiger Zeitvertreib war, den er nach der langweiligen Schiffsreise sofort vergessen würde.«
Fina musste schlucken. Sie wusste noch nicht, worauf die Geschichte ihrer Mutter hinauslief, aber sie fing an, sie zu verstehen.
»Deine Mutter war süß damals«, mischte Robert sich ein. Seine Stimme klang sanft, fast so, als wäre er noch immer frisch verliebt. »Eine Schönheit mit blonden Löckchen, noch so unschuldig und naiv wie ein Mädchen. Ich wusste gleich, dass sie und ihr Vater nicht das waren, was sie vorgaben. Wenn man reiche Leute gewohnt ist, dann sieht man sofort, wenn jemand anders ist: Nicht nur, weil es offensichtlich war, dass ihre Kleidung aus einem billigen Kaufhaus stammte. Die Augen ihres Vaters haben zu sehr geleuchtet, wenn er von seinen Häusern erzählte, so wie die Augen von jemandem, der von seinem Traum erzählt. Gleichzeitig wurde Susanne in solchen Momenten ganz still und hörte ihm zu wie einem Geschichtenerzähler. Und dann, später, konnte ich das schlechte Gewissen in ihrem
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