Der geheime Name: Roman (German Edition)
Tränen zur Seite, sah sich hastig um.
Niemand war zu sehen.
»Er soll sie endlich trauen!« Blanker Zorn glühte in den Augen des Geheimen.
Der Pfarrer wurde bleich, seine Hände begannen zu zittern. »Nun …« Er sprach so leise, dass es kaum zu hören war. »Wir haben uns heute hier versammelt …«
Wieder flüsterte jemand.
Fina widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Stattdessen senkte sie den Blick.
Das Flüstern wurde lauter. Zwei Silben, immer wieder: »Fi-na. Fi-na.«
So würde sie enden: als verrückte Frau an der Seite dieses Koboldes, in ihren Armen ein verunstaltetes Kind, hinter ihr der Geist ihrer ermordeten Liebe.
Vielleicht war es auch der Alte, der ihr die Halluzination schickte – um sie abzulenken, damit sie im richtigen Moment »ja« sagte. Ja, er war es, er konnte nicht nur Träume schicken, er konnte auch am Tag über sie herfallen. Ihr Geist musste nur schwach genug sein.
Fina schloss die Augen. Es war ihr egal, ob Moras Stimme einem Gespenst oder einer Halluzination entstammte – solange er nur bei ihr blieb. Er sollte ihr noch einmal zuflüstern!
»Ja, er will!« Es war die Stimme des Geheimen, laut und deutlich.
Der Pfarrer räusperte sich. »Mädchen …« Er sprach noch immer mit sanfter Stimme. »Wie heißt du?«
Fina öffnete die Augen. Vielleicht sollte sie einen falschen Namen nennen. Ob ihre Hochzeit dadurch ungültig wäre?
»Fina!« Der Herr sprach dazwischen. »Der Name des Weibchens ist Fina!«
Der Pfarrer zuckte zusammen, räusperte sich ein weiteres Mal und fuhr fort: »Fina! Möchtest du den hier anwesenden … Geheimen … zu deinem dir angetrauten Ehemann nehmen, ihn …« Er räusperte sich erneut. »… lieben und ehren. In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod …« Seine Stimme versagte, er sammelte sich und fuhr fort: »… euch scheidet. So antworte mit ja, ich will. «
Fina spürte einen kalten Druck an ihrer Hand. Der Golddaumen des Männleins kribbelte auf ihrer Haut, ließ sie ahnen, was mit ihr geschehen würde, wenn sie nein sagte. Vielleicht wäre es besser, sich in Gold verwandeln zu lassen? Dann hätte das alles hier wenigstens ein Ende.
Es war irgendein unbekannter Teil von ihr, irgendein Zweig ihres Unterbewusstseins, der sie antworten ließ, noch bevor sie sich entschieden hatte. So leise allerdings, dass sie sich selbst kaum hörte: »Ja. Ich will.«
»Ich habe dich nicht richtig gehört.« Der Pfarrer straffte seine Schultern. »Es gilt nur, wenn du es lauter sagst.«
Der Geheime stieß ein Knurren aus. »Sein Gott wird es gehört haben!« Er drückte die Hand gegen die Brust des Pfarrers. Sein Daumen glühte auf, prägte einen goldenen Handabdruck auf den schwarzen Mantel, der sich rasend schnell ausbreitete.
Der Pfarrer schnappte nach Luft, taumelte und stürzte in den Torfstich, der hinter ihm lauerte.
Ein schriller Schrei gellte in Finas Ohren, hielt an, während sein Körper im Moorteppich einsank, immer tiefer, bis nur noch sein Kopf hervorschaute. Das Gold zog sich über sein Gesicht und ließ ihn erstarren, kurz bevor er in dem braunen Wasser untertauchte.
»Fina!« Ein zweiter Schrei mischte sich in das Kreischen.
Fina wirbelte herum, riss sich von dem Herrn los. Auch das Kreischen verstummte. War es ihr eigenes Kreischen gewesen?
Mora lehnte an einer Kiefer, auf einem der Pfade zwischen den Torfstichen. Sein Gesicht war blass, seine Beine schienen ihn kaum zu halten. Doch er lächelte. Er lebte!
Fina versuchte zu rennen, stolperte über den morastigen Steg auf ihn zu.
Kurz hinter Mora leuchtete eine weiße Linie auf dem Boden. Ein Salztor, ihre Freiheit!
Fina rutschte auf den glitschigen Brettern. Sie wollte Mora zurufen, dass er vorlaufen solle. Doch plötzlich sprang der Geheime an ihr vorbei. Schneller, als Menschen es könnten, raste er auf Mora zu, glitt über die schwankenden Bretter hinweg, als berührten seine Füße nicht einmal den Boden.
Fina schrie auf: »Mora, lauf!«
Mora löste sich vom Baum, humpelte ein paar Schritte auf das Tor zu und stürzte zu Boden.
»Mora!« Finas Stimme kreischte, wollte ihn wieder hochjagen.
Der Geheime erreichte ihn, ließ sich fallen und fasste nach Moras Bein. Ein schauriges Lachen hallte durch den Moorwald, mischte sich mit einem gellenden Schrei: Moras Schrei! Sein Gesicht verzerrte sich, ein goldener Handabdruck prangte auf seinem Bein, breitete sich aus.
Der Brettersteg schwankte unter Finas Füßen. In ihren Ohren rauschte es. Obwohl sie
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