Der geheime Name: Roman (German Edition)
seinen Mund und strich durch seine Haare. Für einen Augenblick drohten ihre Gefühle zurückzukehren.
Sie riss sich von ihm los, ging weiter zurück, bis zu dem Moment, in dem sie etwas vergessen hatte, in dem ein wichtiger Gedanke abgebrochen war: Noch einmal stand sie mit Mora vor der Hütte, hörte das Schnarchen des Alten, die beiden Silben des sonderbaren Wortes: Grrrrummml, wenn er ausatmete, und Scrrrraaat beim Einatmen. Grrrrummml-Scrrrraaat, Grrrrummml-Scrrrraaat. Immer enger umkreisten ihre Gedanken das Wort, konnten sich nicht mehr davon losreißen, während sie dem Alten durch das Moor folgte.
Plötzlich tauchte jemand vor ihnen auf.
Fina zuckte zusammen. Seit Wochen hatte sie keinen Menschen gesehen außer Mora. Tatsächlich hatte sie noch nie jemanden unter dem Tarnkreis des Herrn gesehen, nicht einmal auf ihren Wanderungen durch den Wald.
Doch jetzt kam jemand auf sie zu: eine verschwommene Gestalt hinter einem dichten Nebelfeld. Ein Mann, der mit unsicheren Bewegungen über den provisorischen Bohlenweg balancierte. Er blieb schwankend stehen, stützte sich an eine kleine Birke und sah sich panisch um.
Kurz darauf entdeckte er sie. Seine Hand winkte durch den Nebel, er rief ihnen zu: »Entschuldigen Sie? Ich finde den Wanderweg nicht wieder. Wissen Sie, in welche Richtung ich gehen …«
Sie traten aus dem Nebelfeld heraus. Der Mann erstarrte, fixierte sie, als könnte er sich nicht mehr rühren. Nur seine Hand zuckte, hob sich zu seiner Brille und schob sie zurecht.
Inzwischen waren sie so nah, dass Fina den weißen Kragen erkennen konnte, der aus seinem schwarzen Mantel hervorlugte.
Der Pfarrer!
Er stierte sie mit weiten Augen an, während sie vor ihn traten. Fina meinte zu sehen, wie das Gold ihrer Gewänder in seinen Brillengläsern reflektiert wurde: zwei Gestalten aus einer anderen Welt, ein hässlicher Wicht und eine goldene Jungfrau. Sie schimmerten überirdisch im Morgennebel. Vereinzelte Sonnenstrahlen drangen zwischen den Nebelfeldern hindurch und brachten die Perlen auf ihrem Kleid zum Funkeln.
Der Pfarrer bekreuzigte sich, wich einen Schritt zurück und breitete die Arme aus, um nicht zu fallen. Im letzten Moment fand er Halt an der Birke.
Der Herr umfasste Finas Hand fester und verneigte sich: »Der Geheime hat den Herrn Pfarrer hierhergeführt, damit er das Brautpaar traut.«
Der Mund des Pfarrers öffnete sich. Er blinzelte und blickte zwischen ihnen hin und her. An Finas Gesicht blieb er schließlich hängen, ließ sie ahnen, dass sie ihn genauso ungläubig anstarrte.
Vor ihnen stand tatsächlich ein Pfarrer! Der Alte musste gewusst haben, dass er hier spazieren ging. Er hatte ein Salztor für ihn ausgelegt, durch das er unter den Tarnkreis geraten war. Nur so war es zu erklären.
Jetzt irrte er umher, hilflos verloren zwischen schwankendem Torfmoos und tödlichen Moortümpeln.
Der Geheime wurde ungeduldig: »Er soll sie trauen! Jetzt!«
Der Blick des Pfarrers riss sich von Fina los. Sie konnte sehen, wie sein Kehlkopf zuckte. »Wie bitte?«, flüsterte er.
»Worauf wartet er noch?« Der Geheime kniff die Augen zusammen. »Der Herr Pfarrer soll sie endlich trauen!«
Wieder schluckte der Fremde, schüttelte verwirrt den Kopf, als würden sie dadurch verschwinden. Aber sie verschwanden nicht, und schließlich öffnete er zögernd den Mund: »Führen Sie mich dann zurück zum Wanderweg?«
Der Geheime neigte seinen Kopf. Es war weder ein Nicken noch ein Kopfschütteln. Er versprach nichts.
Und plötzlich wusste Fina, dass der Pfarrer ihre Begegnung nicht überleben würde. Sie dachte an die Skelette und Leichen in der Goldkammer. Abgesehen von ihrer Mutter hinterließ das Männlein wohl nicht viele lebende Zeugen.
Das Gesicht des Pfarrers verschwamm vor Finas Augen. Sie wischte ihre Tränen ab und ahnte das Mitleid in seinem Lächeln. Als er sich an den Wicht wandte, verwandelte es sich in Abscheu. »Was für eine Kreatur bist du eigentlich? Will sie dich überhaupt heiraten?«
Der Alte richtete sich auf. »Sie ist ihm versprochen! Sie muss ihn heiraten!«
Der Pfarrer drehte sich zurück zu Fina, sein Gesicht verschwamm immer weiter, aber seine Stimme wurde sanft: »Vor Gott wird niemand gezwungen zu heiraten. Du musst aus freiem Willen ja sagen, mein Kind.«
Fina schniefte, kämpfte gegen das Heulen, das aus ihr herausbrechen wollte. Plötzlich schien es ihr, als würde jemand ihren Namen flüstern. Fast glaubte sie, Moras Stimme zu erkennen.
Sie wischte die
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