Der geheime Name: Roman (German Edition)
weiter. »Er wäre so gut zu ihr gewesen, wenn sie bei ihm aufgewachsen wäre. O ja, er hätte sie geliebt, und sie hätte ihn geliebt – und ihm gerne ein Kindchen geschenkt.« Sein Gesicht rückte näher, hielt direkt hinter dem Gitter. »Doch nun …« Er schüttelte traurig den Kopf. »… wird es ihr weitaus größere Schmerzen bereiten. Er versteht das. Aber er will nicht länger warten. Sein Leben war lang genug, er möchte endlich sterben. Doch nur, wenn er sein Reich an einen leiblichen Erben abgegeben hat, kann er dieses Leben verlassen. Also wird sie ihm geben, was sie versprochen hat. Sie wird sein Kind austragen, sie wird ihm Milch geben – und wenn sie mag, darf sie es aufwachsen sehen.«
Fina starrte den Geheimen an, das wenige, was hinter ihren Tränen von ihm zu sehen war. Das weiße Nichts kehrte zurück, füllte ihren Kopf und hüllte sie in eine schützende Leere. Fina schloss die Augen. Sie musste schlafen, endlich.
»Ja. Ruh sie sich aus. Morgen ist ihr großer Tag.« Die Stimme kicherte ein letztes Mal, löste sich von ihrem Käfig und verschwand in der Ferne.
25. Kapitel
A ls sie erwachte, lag sie auf etwas Hartem, auf etwas, das sich glatt unter ihre Finger schmiegte. Fina blinzelte und erkannte das Gold im Schimmer der Öllampe. Vor ihr lag ein Kopf, das goldene Gesicht eines Mädchens. Sie blickte direkt in die leblosen Augen.
Fina fuhr auf, wich vor dem Kopf zurück. Etwas Kaltes drückte sich in ihren Rücken, goldene Gitterstäbe.
Mora! Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Sie sah zu seinem Käfig, fand ihn dort, wo der Herr ihn hingeworfen hatte, noch immer in derselben verrenkten Haltung.
Finas Blick heftete sich auf seinen Körper. Sie hoffte auf eine Regung, lauschte und suchte nach einem Anzeichen, dass er noch atmete.
Aber solange sie ihn auch ansah – er blieb vollkommen regungslos liegen.
Wie lange hatte sie geschlafen? Wie lange lag er schon dort? Es gab keine Öffnung in der Höhle, keinen Hinweis darauf, ob es noch Nacht oder bereits Tag war. Wenn er noch lebte – wäre er dann so liegen geblieben? Hätte er sich nicht wenigstens in eine bequemere Haltung gedreht?
Fina zischte ihm zu: »Mora! Sieh mich an!« Eine Sekunde lang wartete sie, auf irgendeine Bewegung, irgendein Zeichen. Doch Mora blieb still.
»Sieh mich endlich an!« Finas Panik explodierte, ließ sie schreien, damit er sie endlich hörte: »Beweg dich wenigstens! Mora!« Sie klammerte sich an das Gitter, rüttelte daran und sprang dagegen. »Na los! Sieh mich an! Du kannst nicht tot sein! Du musst leben!«
Mora rührte sich nicht.
Finas Schreie versiegten, ihre Beine gaben nach und ließen sie zurück auf den Boden sinken.
Erst jetzt bemerkte sie die Gestalt, die seelenruhig an ihren Käfig getreten war.
»Es nutzt nichts, wenn sie so schreit. Das Menschenscheusal ist tot.« Der Geheime sah sie an. Ein kaltherziges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Aber sie muss nicht traurig sein. Er wird ihr ein Hochzeitsgeschenk bereiten. Er wird Morasal für sie in Gold verwandeln. Als ewiges Andenken.« Der Wicht hockte sich hinter sie, sprach durch das Gitter in ihr Ohr. »So wird ihr Diener wenigstens nicht von Würmern zerfressen und bleibt für ewig so hübsch, wie sie ihn mit ihrer Haarschere und ihrem Rasierer hergerichtet hat.«
Fina kämpfte gegen die Tränen, gegen das flatternde Heulen, das sich zwischen ihren Lippen hervorpresste.
Der Alte streckte seine Hand durch das Gitter und streichelte ihr Haar.
Sie erstarrte unter seinen Fingern, schluckte die Tränen herunter. Doch sie brannten in ihrer Brust, versengten ihr Herz und raubten ihr die Luft.
Der Wicht sprang auf, öffnete ihren Käfig. »Sie muss sich eilen. Der Herr Pfarrer wartet schon auf sie.« Er ging zu einer Truhe, öffnete den Deckel und zog etwas Goldenes hervor: ein langes prächtiges Kleid aus goldener Spitze und mit goldenen Perlen besetzt. Er hielt es ihr grinsend entgegen.
Fina kam sich vor wie in Trance, als sie nach dem Kleid griff. Ihr verbranntes Herz fing an zu frieren, ließ eine eisige Kälte durch ihren Körper strömen. Mora war tot. Es gab nichts mehr, worauf sich noch hoffen ließ.
Warum waren sie gestern nicht einfach geflohen? Warum hatten sie nicht das Salz genommen und waren um ihr Leben gerannt? Die Erinnerung erschien ihr wie ein Traum. Sie selbst hatte angefangen, Mora zu küssen, noch halb im Schlaf.
Sein Tod war ihre Schuld!
Oder die Schuld ihrer Mutter? Susanne hatte ihn als
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