Der geheime Name: Roman (German Edition)
geschenkt bekam.
Fina musste lachen, gleichzeitig schossen Tränen in ihre Augen. »Ja!« Sie presste die Lippen aufeinander, um das Heulen zu verdrängen. »Und weißt du was? Du wirst lernen, damit zu fahren!«
Moras Blick wurde noch erstaunter. »Ich?«
Fina nickte. »Ja, du.« Ihre Tränen ließen sich nicht länger aufhalten, lösten sich und liefen über ihre Wangen. »Und ich denke, du wirst es mögen. Die meisten Jungs mögen das.«
Moras Lächeln schien seine Schmerzen zu vertreiben. Er sah aufgeregt auf die Landstraße. »Kommt gleich noch eins?«
Fina folgte seinem Blick. »Schon möglich.« Plötzlich wurde sie unruhig. Es gab nicht nur die entfernte Landstraße. Sie sah sich um, sah die beiden asphaltierten Wege entlang, die von zwei Seiten auf sie zuführten. Dort, wo sie jetzt standen, waren sie schon von weitem gut zu sehen. Es war zwar noch immer früh, und über den Feldern lag dünner Nebel, aber das erste Sonnenlicht spiegelte sich bereits in den Tautropfen auf dem verwelkten Gras. Und wenn der Pfarrer um diese Zeit schon im Moor unterwegs gewesen war, kamen womöglich bald noch andere Spaziergänger.
Zum ersten Mal wurde ihr klar, wie schrecklich Mora zugerichtet war, wie es auf Außenstehende wirken musste, wenn sie einen blutverschmierten, halbnackten Mann in einem Lendenschurz erblickten.
»Wir müssen schnell weiter!« Sie sah den Wald entlang, dorthin, wo sie wieder in den Schutz der Bäume abbiegen würden. »Hier könnten bald Menschen auftauchen. Und wenn dich jemand so sieht, dann rufen sie die Polizei. Dann müssen wir tausend Fragen beantworten – woher du kommst und was mit dir passiert ist.«
Moras Lächeln verschwand. Sie ahnte, dass er nicht genau wusste, wovon sie sprach. Doch er schien den Ernst zu begreifen. So schnell wie möglich humpelte er neben ihr her. Mit jedem Schritt wurde sein Keuchen lauter, bis er so klang, als hätte er einen halben Marathon hinter sich.
Sie schafften es ungesehen bis in den Wald. Aber auch hier war der Weg breit und die Entfernung zum Dorf so kurz, dass bestimmt jeder zweite Hundebesitzer hier morgens seine Runde drehte.
Es dauerte nicht lange, bis ihnen tatsächlich eine Frau entgegenkam. Mora blieb stehen und erstarrte, Fina überlegte, ob sie seitlich in den Wald fliehen sollten. Doch auch dort standen die Buchen so licht, dass die Spaziergängerin sie gut sehen würde, wenn sie auf ihrer Höhe ankam.
Im nächsten Moment erkannte Fina den Gang der Frau, ihre Frisur und die blonden Locken. Nur Sekunden später schrie ihre Mutter auf und rannte auf sie zu. Ihr Geschrei klang unmenschlich, ein wortloses Heulen, wie Fina es noch nie gehört hatte.
Mora wich zurück. Fina konnte spüren, dass er am liebsten davonlaufen wollte. Doch seine Schwäche ließ ihn nur aufkeuchen.
»Keine Angst«, flüsterte sie. »Sie tut uns nichts.«
Susanne erreichte sie. Ihr Schrei verstummte, nur ihr Gesicht war noch verzerrt, nass und rot, als würde sie schon seit Tagen weinen. Ihre Lippen bewegten sich, stießen ein leises Krächzen hervor: »Mora.« Sie strauchelte auf ihn zu, fiel in seine Arme und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. »Es tut mir so leid, was ich mit dir getan habe. Es tut mir so leid!«
Fina fühlte sich schwindelig. Es war ein seltsames Bild, wie ihre Mutter dastand und sich an Mora festklammerte, so surreal, als würde sie träumen.
»Ich hab dich nie vergessen«, hauchte Susanne. »Kein Tag ist vergangen, an dem ich es nicht bereut habe, an dem es nicht mehr weh getan hat.«
Fina begriff nur langsam, dass es kein Traum war. Der Wicht hatte recht gehabt mit seiner Behauptung: Ihre Mutter hatte Mora an ihn ausgeliefert, hatte ihn verraten und für Gold verkauft, ein fremdes Baby, das sie vermutlich einer anderen Mutter gestohlen hatte – und jetzt heulte sie seinetwegen.
Mora stand wie erstarrt in der Umarmung da, seine Arme hingen leblos herab, und sein Blick wirkte verzweifelt.
Fina hatte genug! »Mama, das reicht!« Sie wollte ihre Mutter anschreien, wollte sie vertreiben, doch aus ihrem Mund kam nur ein kraftloses Flüstern: »Er kennt dich nicht. Lass ihn los.«
Susanne wich tatsächlich zurück. Ihr Blick fiel auf Fina. »Du bist wieder da«, hauchte sie, wollte auf sie zukommen.
Doch Fina hob die Hand, um sie abzuwehren.
Susanne verstand die Geste. Sie blieb stehen und starrte ihre Tochter an. Im nächsten Moment brach sie auf dem Waldweg zusammen und blieb heulend liegen.
Fina blickte auf ihre Mutter hinab.
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