Der geheime Name: Roman (German Edition)
sein. Er durfte sie nicht wiederfinden, sollte sie nicht erneut fangen. Aber ganz gleich, wie leise sie sein wollte – ein stetiges Wimmern entwich ihrer Stimme und begleitete sie auf ihrem Weg.
Schließlich fing es an zu dämmern. Tränen liefen über Finas Gesicht, ihr Magen knurrte vor Hunger. Wenn es dunkel wurde, war sie verloren …
Sie war kurz davor, aufzugeben, als sie plötzlich feuchten Grund unter ihren Füßen fühlte. Zwischen den Bäumen schimmerten dunkle Tümpel und helle Nebelschwaden.
Das Moor! Fina fand eine Reihe von Ästen im Moos, einen schmalen, provisorischen Holzpfad, der ins Moor hineinführte.
Musste sie womöglich diesen Weg wählen, um den seltsamen Urwald zu verlassen? Den gleichen Weg, den sie gekommen war.
Ihre Nackenhaare kribbelten, während sie über die schwankende Befestigung watete. Der Sumpf um sie herum wurde immer nasser, die Äste unter ihren Füßen führten im Zickzack um die Torfstiche.
Immer langsamer schlich Fina voran. Nur ein falscher Schritt, und sie würde wieder ins Moor fallen. Und dieses Mal gab es niemanden, der sie rettete, nicht einmal einen Unsichtbaren, der sie verfolgte.
Es sei denn, ihr Retter beobachtete sie noch. Vielleicht war er ihr die ganze Zeit gefolgt, versteckt in der Dunkelheit. Oder getarnt als Unsichtbarer.
Fina fröstelte. Sie wurde verrückt. Menschen konnten sich nicht unsichtbar machen, und genauso wenig gab es Höhlenbewohner in der Lüneburger Heide. Nicht im 21. Jahrhundert.
Sie wollte sich nur kurz umsehen, wollte herausfinden, ob der Fremde hinter ihr herschlich. Doch der provisorische Pfad schwankte unter ihrer Drehung und ließ sie beinahe das Gleichgewicht verlieren. Sie konnte sich gerade noch fangen. Das Blut rauschte in ihren Ohren.
Warum war sie nur ins Moor gelaufen? Hätte sie es nicht noch einmal im Wald versuchen können? Dort irgendwo mussten die Wege doch sein!
Etwas huschte über den Pfad, ein kleines Tier, nicht weit entfernt. Seine Augen leuchteten im Mondlicht auf. Gleich darauf erkannte Fina die puscheligen Ohren, den buschigen Schwanz.
Das Eichhörnchen!
Fast war sie erleichtert, dem zutraulichen Tier zu begegnen. Auch wenn es der erste Vorbote für den Unsichtbaren gewesen war.
Doch vermutlich war das Moor tödlicher als der Höhlenjunge.
»Eichhörnchen!«, flüsterte Fina. »Weißt du den Weg?«
Das Eichhörnchen hoppelte weiter auf sie zu, wirbelte herum, kurz bevor es sie erreichte. Mit schnellen Schritten sprang es vor ihr her über den provisorischen Bohlenweg.
»Halt! Nicht so schnell!« Fina konnte nur schleichen. Vor jedem Schritt musste sie sich erst vergewissern, dass die Äste sie hielten.
Das Eichhörnchen wurde tatsächlich langsamer. Schließlich hoppelte es immer nur ein paar Schritte und wartete auf sie.
Nach einer geraumen Weile entdeckte Fina eine weiße, leuchtende Linie vor sich auf dem Pfad. Das Eichhörnchen sprang darüber und sah Fina erwartungsvoll entgegen.
Mit vorsichtigen Schritten trat sie über die weiße Linie, die aussah, als bestände sie aus einzelnen Körnern. Fina konnte nicht ausmachen, was genau es war – und kurz darauf interessierte sie das auch nicht mehr: Fast unmittelbar vor ihr lag der Wanderweg, der um den Grundlosen See herumführte. Sie hatte es geschafft!
Ihre Knie fühlten sich weich an, während sie die letzten Meter über den Pfad zwischen den Torfstichen zurücklegte. In wilden Strömen liefen die Tränen über ihr Gesicht, als sie schließlich auf dem Wanderweg ankam.
Hier war es gewesen: Hier war der Unsichtbare aus dem See gekommen – und hier hatte sie ihre Kamera verloren.
Das Eichhörnchen keckerte leise und raste in einem Wahnsinnstempo zurück ins Moor.
Fina sah ihm einen Moment nach. Dann ließ sie ihren Blick über den Boden gleiten. Tatsächlich lag ihre Kamera am Fuß der Birke. Fina hob sie auf, hängte sich den Riemen um ihren Nacken und lief weiter. Nur weg von hier! Sie versuchte zu rennen. Doch ihr Bein schmerzte, ihr Körper fühlte sich schwach an. Schritt für Schritt schleppte sie sich den Wanderweg entlang, zuerst um den See herum und schließlich durch den Wald, bis sie endlich die Mühle ihrer Großmutter erreichte.
Vor der geschlossenen Tür blieb sie stehen, lehnte sich in die Türnische und hob ihre Kamera hoch. Erst jetzt wischte sie den Dreck von ihrem Gehäuse und untersuchte das Objektiv auf irgendeinen Schaden. Schließlich schaltete sie das Gerät ein.
Das Display leuchtete auf.
Fina stieß die
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