Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
Vom Netzwerk:
was mit ihr los war. Sie wollte den Wilden doch nie wiedersehen, wollte alles vergessen! Oder nicht?
    Das Lächeln ihrer Großmutter wurde noch vielsagender, ließ Fina ahnen, dass sie ihre Verwirrung durchschaute. Aber Oma Klara sagte nichts mehr dazu und machte sich nur daran, Finas Bein zu untersuchen. Sie diagnostizierte ihr eine mittelschwere Prellung, die sie zuerst mit kühlenden Umschlägen und schließlich mit einer schmerzlindernden Salbe behandelte. Außerdem riet sie ihr, das Bein ruhig zu stellen und eine Weile zu Hause zu bleiben.
    Fina kam die Ausrede gerade recht. Es passte zu ihrem Drang, sich zu verkriechen und alles zu vergessen. Sie verbrachte die Tage auf dem Sofa im Wohnzimmer und strickte ihren ersten Schal zu Ende. In einem Anflug von Selbstüberschätzung versuchte sie sich schließlich an einem Norwegerpulli.
    Bald ahnte sie jedoch, dass der Pulli viel zu groß für sie werden würde. Aber Fina wollte nicht alles wieder aufribbeln und von vorne beginnen. Also machte sie einfach weiter. Die gleichförmige Tätigkeit gefiel ihr. Das Klappern der Nadeln beruhigte sie und half ihr, ungestört darüber nachzudenken, was geschehen war: der Unsichtbare am See, ihr Sturz ins Moor und das Aufwachen in der seltsamen Höhle. Immer wieder fragte sie sich, woher der wilde Junge kam, warum er so lebte. Sie sah sein Gesicht mit dem langen Bart und den zotteligen Haaren vor sich und versuchte, seine Augen darin zu finden. Doch es gelang ihr nie, seinen Blick zu erhaschen.
    Sie hatte den Unsichtbaren fotografiert. Als er aus dem Wasser gekommen war, als er vor ihr stand. Doch ihre Kamera lag seit dem denkwürdigen Tag unberührt in ihrem Zimmer. Wahrscheinlich würde nichts auf den Bildern zu erkennen sein – aber Fina wagte es nicht nachzusehen.
    Über eine Woche schlich sie um ihre Kamera herum, bis zu dem Abend, an dem ihre Großmutter ausging, um sich mit einer Freundin zu treffen. Mindestens fünf Mal fragte sie Fina, ob es wirklich in Ordnung sei, wenn sie alleine blieb.
    Aber Fina lachte nur und winkte ab. »Ich bin doch kein Baby mehr!«
    Ihre Großmutter schien dennoch besorgt zu sein. Wahrscheinlich dachte sie an die drohende Entführung. Aber Fina beruhigte sie und versprach, dass sie alles abschließen und niemandem die Tür öffnen würde. Mit einem munteren, gespielten Lächeln behauptete sie, dass sie längst entführt worden wäre, wenn es einen Entführer gäbe.
    Als ihre Oma schließlich gegangen war, nutzte Fina die Gelegenheit, um ihr Büro zu belagern. Es gab kein WLAN im Haus, und nur hier konnte sie ihren Laptop an ein Internetkabel anschließen. Sie musste endlich mit ihren Bewerbungen weitermachen. Vor allem die deutschen Hochschulen wollte sie sich noch einmal genauer ansehen. Vielleicht ließ sich erkennen, was den Professoren gefiel und worauf sie ihre Bewerbungen ausrichten sollte.
    Mit leisem Herzklopfen nahm Fina schließlich auch ihre Kamera mit ins Büro. Sie musste sich endlich entscheiden: Entweder sie nahm den Speicherchip heraus und legte ihn ganz unten in ihre Schublade – oder sie lud die Fotos herunter.
    Es wäre das erste, wirklich allererste Mal in ihrem Leben, dass sie Fotos ungesehen beiseitelegte.
    Fina atmete tief ein und stöpselte alle Kabel an die dafür vorgesehenen Stellen. Während sich die Fotos auf ihre Festplatte kopierten, ging sie in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.
    Der Wasserkocher zischte und knackte, erinnerte sie plötzlich an das Atemgeräusch im Moor, an die schmatzenden Schritte des Unsichtbaren.
    Finas Blick fiel durch die milchigen Butzenscheiben nach draußen, dorthin, wo der Waldrand sein musste. Doch in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Nur der Herbstwind fuhr um die Mühle und heulte in den Ritzen der einfach verglasten Fenster. Überhaupt schien das alte Gemäuer in allen Winkeln und Ecken zu knacken.
    »Das ist nur der Wind.« Fina versuchte, sich Mut zuzuflüstern. »Und das Holz, das sich in der Kälte zusammenzieht.«
    Der Wasserkocher stellte sich ab, und sie goss das heiße Wasser über ihren Teebeutel.
    Schließlich nahm sie die Tasse, lockte Rübezahl mit sich und ging in das Büro ihrer Großmutter. Als sie die Tür des kleinen, gemütlichen Zimmers hinter sich schloss, fühlte sie sich etwas besser. So lange, bis sie sich zum Schreibtisch umdrehte: Der Bildschirm zeigte das letzte Foto, das sie gemacht hatte.
    Fina keuchte auf, ließ die Tasse beinahe fallen. Eine weiße, menschliche Form leuchtete ihr im Nebel

Weitere Kostenlose Bücher