Der geheime Name: Roman (German Edition)
und reichte ihr eine Suppenschale, die so aussah, als wäre sie aus Gold.
Fina starrte sie an. Die Fleischbrühe darin duftete köstlich, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Es war eine Falle! Sie musste weg von hier!
Fina stieß das Schälchen zurück. Die Brühe schwappte über seine Hand, seinen Arm, spritzte auf das Fell.
Der Fremde zog die Hand zurück, Schmerz zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Doch ihm entwich kein Laut. Stattdessen senkte er seinen Kopf noch tiefer.
Fina schrie ihn an: »Ich will nach Hause! Gib mir meine Klamotten!«
Er rührte sich nicht. Nur die verbrühte Haut an seinen Armen rötete sich, seine Hände zuckten vor Schmerzen.
Plötzlich fiel ihr auf, wie jung er war. Fina hielt den Atem an. Die Härchen auf seiner dunklen Haut wirkten noch ganz weich. Sein Oberkörper war schmal unter seinen Muskeln – wie der eines Mannes, der gerade erst erwachsen geworden war. Er schien kaum älter zu sein als sie, falls überhaupt.
Doch ganz egal, ob er jung war, das machte ihn nicht harmloser – sie musste fort von hier. »Du sollst mir meine Klamotten holen!«
Der Fremde sah von unten zu ihr auf, seine Stimme vibrierte: »Es versteht sie nicht.«
Fina starrte ihn an. »Ich will mich anziehen. Meine Kleidung! Was gibt es daran nicht zu verstehen?«
»Ihre Kleidung?«, flüsterte er.
»Verflucht!« Fina wollte kämpfen, wollte nicht länger wie ein dummes Kaninchen in der Falle hocken. »Gib mir, was du mir weggenommen hast! Du Monster!«
Der Fremde sprang auf, rannte um das Feuer herum. Erst jetzt erkannte Fina, dass ihre Sachen dahinter auf einem Holzgestell ausgebreitet lagen. Er raffte sie auf seinem Arm zusammen, kam zu ihr und fiel wieder vor ihr auf die Knie. Mit ausgestreckten Händen hielt er ihr das Bündel entgegen, den Kopf zwischen die Arme gesenkt.
Finas Blick fiel auf seinen nackten Rücken, auf die roten und weißen Striemen, die sich über seine angespannten Muskeln zogen. Das waren Narben! Wie von heftigen Misshandlungen.
Wie konnte jemand gleichzeitig so stark und so unterwürfig sein?
Ein Verrückter! Ein Wilder! Einer, der sich in den Wald zurückgezogen hatte, weil er mit dem Leben in der Welt nicht klarkam … weil er misshandelt worden war.
Das musste die Erklärung sein.
Fina hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie riss ihm die Sachen aus den Händen, streifte sich das T-Shirt über den Kopf und gleich darauf den Pullover. Der Schmerz in ihrem Bein pulsierte, als sie unter der Decke in ihre Jeans schlüpfte. Es war nicht leicht, die Hose im Liegen über ihren Po zu ziehen. Der harte Stoff war noch feucht, beinahe nass.
Fina scherte sich nicht darum.
Auch ihre Schuhe waren in dem Bündel. Sie zog sie an und sprang auf.
Der Schmerz ließ sie aufschreien. Ihr Bein knickte ein.
Der Fremde fing sie auf, noch bevor sie fallen konnte. Ihre Nase streifte die Haut seiner Schultern, atmete einen Hauch von seinem Geruch ein. Etwas Vertrautes lag darin.
Fina schauderte. Sie blieb länger in seinem Arm, als sie wollte. Sein Bart kitzelte an ihrer Stirn, seine Hände lagen auf ihrem Rücken. Er schnupperte an ihren Haaren.
Fina riss sich los. So schnell sie konnte, humpelte sie um das Feuer herum, fand dort den Tunnel in der Erdwand, durch den er hereingekommen war. Sie stürzte darauf zu, musste am Ende des Ganges durch ein Loch kriechen, wie ein Fuchs, der aus seinem Bau ins Freie wollte.
Sie war viel zu langsam! Jeden Moment fürchtete sie seine Hand an ihrem Knöchel, seinen Atem hinter sich im Tunnel.
Doch nichts dergleichen geschah, bis sie endlich im Freien stand. Sie war mitten im Wald, in einem urwüchsigen Wald, der noch wilder erschien als das Naturschutzgebiet rund um das Moor. Fina betrachtete den Boden. Wenigstens schien er hier fest zu sein, ohne die dunklen Moortümpel und tückischen Torfmoose.
Sie musste nach Hause! Musste weg von hier.
Fina versuchte zu rennen. Doch das Schnellste, was sie zustande brachte, war ein hastiges Humpeln. Sie lief fort von der Höhle, musste irgendwo einen Weg finden, der aus dem Wald herausführte, in irgendeines der umliegenden Dörfer, irgendwohin, wo Menschen waren.
Doch so weit sie auch lief, sie kreuzte keinen der Wege, und der Wald blieb so urwüchsig, als hätte er kaum eine Menschenhand gesehen. Sie suchte stundenlang, fast den ganzen Tag, bis die Verzweiflung ihren Körper in Besitz nahm. Sie wollte schreien, toben, wollte rennen und ihren Weg endlich finden! Doch sie musste leise
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