Der Geheime Orden
die Reformatoren auch zu tun, als sie sich vom Katholizismus lossagten«, sagte ich. »Ich werde es mir aufschreiben und herauszufinden versuchen, woher es kommt und was es bedeutet.«
Nachdem ich den Abschnitt niedergeschrieben hatte, schlug Dalton das Buch zu. Er war schon dabei, es wieder ins Stanniolpapier einzuschlagen, als ich ihn zurückhielt.
»Was ist?«, fragte er.
»Wir haben vergessen, uns das Etikett hinten im Buch anzuschauen«, sagte ich. »Der vierte Schritt schreibt vor, dass dein Onkel dort einen Kandidaten eintragen soll, der für seine Nachfolge im Orden bestimmt ist.«
Dalton blätterte das Buch vorsichtig bis zum Ende durch, und als er die letzte Seite umschlug, traf es mich wie ein Schlag in die Magengrube. Der Name, der auf dem spröden Papier geschrieben stand, lautete Spencer Q. Collins aus Chicago, Illinois.
18
Die nächsten 24 Stunden verliefen wie ein Rausch, der in einer überraschenden Epiphanie endete. Dalton und ich saßen eine ganze Stunde da, nachdem wir meinen Namen auf dem Etikett entdeckt hatten. Zuerst hatte ich Dalton beschuldigt, wieder einen seiner Streiche gespielt zu haben, doch er leugnete vehement, und tief in meinem Innern wusste ich, dass er die Wahrheit sagte. Wir saßen da wie zwei Volltrottel und suchten nach einer Erklärung, wie bei allen denkbaren und undenkbaren Möglichkeiten ausgerechnet mein Name auf diese Seite gekommen sein mochte. Nachdem uns nichts eingefallen war, das auch nur annähernd vernünftig klang, einigten wir uns darauf, erst einmal gründlich darüber zu schlafen. Vielleicht würden wir danach ein bisschen klarer sehen. Dalton packte das Buch wieder ein, und jeder zog sich in seine Ecke des Campus zurück.
Am Tag darauf war mein Hirn die meiste Zeit in dichten Nebel gehüllt. Ich versuchte dieses verdammte Buch zu vergessen, doch es war unmöglich. Ich hatte die Abschrift des religiösen Abschnitts dabei und zog sie immer wieder aus meinem Notizbuch, starrte darauf und versuchte zu ergründen, woher sie stammte und warum die Altehrwürdigen Neun sie so bedeutend fanden, dass sie diese Zeilen zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht hatten. Hätte es wenigstens den kleinsten Hinweis auf ein Datum oder ein bedeutendes historisches Ereignis gegeben, hätte ich es vielleicht alleine herausfinden können, aber es gab nichts außer diesen fünfundneunzig Wörtern. Ich würde Hilfe brauchen, aber ich musste mir gut überlegen, wen ich fragen konnte. Also beschloss ich, es zunächst einmal mit den Referenzbibliothekaren in der Widener-Bibliothek zu versuchen. Wenn sie die Quelle oder die Bedeutung der Worte nicht herausfinden konnten, würden sie mir wenigstens einen Fingerzeig geben können, an wen ich mich mit meinem Problem wenden könnte.
Ich gönnte mir ein rasches Mittagessen im Union, bevor ich die breiten Betonstufen der ehrwürdigen Widener-Bibliothek hinaufstieg. Es war genau die richtige Zeit, um dort zu erscheinen, da die meisten Studenten entweder in ihren Seminaren saßen oder auf dem Weg zum Mittagessen waren, sodass es kein Gedränge vor dem Informationsschalter geben würde. Eine dünne Frau mit lockigem schwarzen Haar und winziger Nase sah zu mir auf, als ich mich dem Schalter näherte. Ihre Lesebrille hing an einer Kette aus eigenwillig geformten Türkisen.
»Mein erster Kunde heute«, sagte sie mit einem Lächeln. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich versuche die Quelle eines Zitats zu finden«, sagte ich, »und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Was für ein Zitat ist es denn?«
»Ein religiöser Text.«
»Aus der Bibel?«
»Ich glaube nicht. Aber ausschließen kann ich es auch nicht.«
»Haben Sie es dabei?«
Ich zog das Glaubensbekenntnis der Altehrwürdigen Neun hervor und reichte es ihr. Sie setzte sich ihre ovale Brille auf die Nase und las sich die Passage durch. Ich konnte sehen, wie ihre Miene sich von Neugierde zu Besorgnis wandelte.
»Das sieht ziemlich alt aus«, sagte sie. »Die Orthographie und Grammatik scheinen äußerst rätselhaft und sehr britisch. Ich fürchte, ohne weitere Hinweise oder Aufzeichnungen kann man es unmöglich zurückverfolgen. Wissen Sie sonst noch etwas über dieses Zitat, das uns weiterhelfen könnte?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist alles, was ich habe«, sagte ich.
»Wo haben Sie es gefunden?«
Auf diese Frage war ich vorbereitet. »Es stand auf einem Stück Papier, aber der Rest war abgerissen.«
Sie zog ihre Tastatur heran und sagte: »Das wird schwierig,
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