Der Geheime Orden
Harvard-Erinnerungsstücke betrachten durften, die bis zum ersten Footballspiel von Harvard gegen Yale zurückreichten.
Eine mürrisch dreinschauende Frau mittleren Alters in einer weißen und karmesinroten Uniform öffnete mir die Tür. Sie hielt eine kleine Topfpflanze in der Hand, die aussah, als wäre sie seit Monaten nicht gegossen worden.
»Wäre es möglich, den Herrn Pastor zu sprechen?«, fragte ich. »Seine Sekretärin sagte, ich könnte ihn hier finden.«
»Haben Sie einen Termin?«, fragte sie.
»Nein, aber ich werde nur ein paar Minuten seiner Zeit in Anspruch nehmen.«
Sie musterte mich misstrauisch. »Und Ihr Name?«
»Spencer Collins.«
»Kommen Sie herein. Ich werde sehen, ob er Zeit für Sie hat.«
Ich stand in der hellen Eingangshalle und beobachtete, wie sie die mit rotem Teppich bezogene, geschwungene Treppe hinaufstieg und verschwand. Ich kam mir vor wie in einem Museum. Überall verschiedene Goldtöne und schwere Tapeten mit seltsam geformten Spiegeln, düsteren Landschaften und Porträts vornehm aussehender weißhäutiger Damen. Genau so hatte ich mir den Ort vorgestellt, an dem Campbell lebte, geschmackvoll ausgeschmückt, ohne pompös zu wirken, mit einem tiefen Sinn für Geschichte und Tradition. Er war der Prototyp eines Ästheten, ein Mann, der einen Rembrandt von einem Renoir unterscheiden konnte und Piaton mit derselben Leichtigkeit zitierte wie die Heilige Schrift.
Ein paar Minuten später kehrte die Frau zurück, nachdem sie die Topfpflanze gegen eine große Kristallglasvase mit Sonnenblumen getauscht hatte. Die Blumen halfen allerdings auch nichts gegen die Verdrossenheit in ihren Augen.
»Sie haben Glück«, sagte sie. »Der Herr Pastor hat sein Mittagessen beendet und befindet sich in seinem Arbeitszimmer. Er wird Sie kurz empfangen.«
Ich folgte ihr in den ersten Stock und über einen kurzen Flur, der mit polierten Holzmöbeln und bunten Lampen vollgestopft war. Das Haus war ziemlich groß, doch von Möbeln und Schnickschnack wurde so viel Platz eingenommen, dass es klein und anheimelnd erschien. Nachdem sie mich ins Arbeitszimmer geführt hatte, verschwand sie schnell wieder. Ich war wie erschlagen von den riesigen Büchermengen, die das warme Zimmer ausfüllten. Sie waren überall: in deckenhohe Bücherregale gestopft, wahllos auf Tischen gestapelt und in einer Ecke des Zimmers in hohen Türmen gegen die Wand gelehnt. Und wo keine Bücher waren, standen gerahmte Bilder. Eine ganze Galerie war auf den Tischen, den Bücherregalen und sogar auf dem Kaminsims verteilt. Es mussten Hunderte sein, von kunstvollen Silberrahmen bis zu kompliziert geschnitzten Exemplaren aus Holz. Eine große männliche Büste stand vor einem der Fenster, einen Doktorhut auf dem Kopf und mit zwei Medaillen um den Hals.
Reverend Campbell saß in einem rostfarbenen asiatischen Stoffsessel mit Ziernägeln. Das Flackern der brennenden Scheite im grüngekachelten Kamin tanzte in seinen runden Brillengläsern. Er trug einen grauen Nadel streifenanzug und ein weißes Hemd. Es war das erste Mal, dass ich ihn nicht in seinem Priesterkragen oder mit Krawatte sah. Er sah vollkommen entspannt aus.
»Wie kann ich Ihnen helfen, junger Mann?«, fragte Campbell in seinem aristokratischen Tonfall. Er saß vor einer Wand mit Gemälden aus dem 19. Jahrhundert, einen Stapel Papiere in der Hand.
»Ich bin Spencer Collins, Abschlussjahrgang ‘91«, sagte ich. »Ich habe eine Frage hinsichtlich der Quelle eines religiösen Zitats, und ich hoffe, dass Sie mir vielleicht helfen können.«
»Aus der Heiligen Schrift?«
»Da bin ich mir nicht sicher.«
Campbell legte die Papiere, die er gerade gelesen hatte, auf einem nahen Tisch ab. »Dürfte ich das Zitat einmal sehen?«, sagte er.
Ich zog das zusammengefaltete Stück Papier aus dem Rucksack und reichte es ihm. Er las es sorgfältig durch und betrachtete mich anschließend mit einem neugierigen Gesichtsausdruck. Die tiefen Runzeln auf seiner Stirn sahen aus wie mit einem Presslufthammer gezogen. Er schüttelte leicht den Kopf. »Das ist offensichtlich nicht das Original«, sagte er.
»Nein, ich habe es abgeschrieben.«
»Und wo befindet sich die Originalquelle?«
»Da liegt das Problem«, sagte ich. »Ich habe sie nicht.«
»Und wo ist die Quelle, aus der Sie es abgeschrieben haben?«, fragte er.
»Die habe ich ebenfalls nicht.«
»Wollen Sie mich zum Narren halten, Mr. Collins?«, sagte er. »Dieser Text ist doch nicht einfach vom Himmel
Weitere Kostenlose Bücher