Der Geheime Orden
singen, und der Garden bebte, als würde das Dach einstürzen. Ich spürte den Bassbeat in meiner Brust wummern.
Zwei Stunden lang folgte ein Hit nach dem anderen. Die alten Popnummern wie Mr. Telephone Man mischten sich mit den neuen, reiferen Balladen wie Can We Stand the Rain. Ich hatte schon Konzerte im Fernsehen gesehen, merkte aber schnell, dass es nichts war verglichen mit der echten Ware. Die ansteckende Begeisterung schwappte wie eine gigantische Welle über die gesamte Arena hinweg, und nach kurzer Zeit war ich wie alle anderen aufgestanden und sang, klatschte, pfiff und legte sogar den Arm um Ashleys Taille, als wir miteinander in der Dunkelheit tanzten. Dann sangen sie dieses langsame, gefühlvolle Stück Is This the End, und alle Mädchen, Ashley eingeschlossen, fingen an zu kreischen. Ich sah, wie andere Jungs ihre Mädels in den Arm nahmen und für den Rest des Songs küssten, doch während Ashley mir durchaus gestattet hatte, sie in den Arm zu nehmen, fühlte ich mich noch nicht so mutig, also tanzte ich einfach nur mit ihr und genoss den Augenblick.
Als das Lied schließlich endete und die Saalbeleuchtung aufflammte, sahen die Leute aus, als würden sie immer noch unter Schock stehen. Ein paar Mädchen heulten, die Jungs schrien nach mehr, und auf der Bühne war nur noch Rauch, wo einst die Sänger gestanden hatten. Nach zwanzig Minuten vergeblicher Rufe nach einer Zugabe strömten wir nach und nach aus den Türen. Ashley hatte noch ein paar Stunden, bevor sie zu Hause sein musste, also beschlossen wir, uns einen Happen in der Pizzeria Uno zu gönnen. Wir fuhren mit der überfüllten Grünen Linie von der North Station nach Kenmore Square, einer meiner liebsten Gegenden in Boston.
Kenmore Square ist am besten an der riesigen Citgo-Neonreklame auf dem Dach des alten Gebäudes der Peerless Motor Company zu erkennen. Das Rot und Blau des dreieckigen Zeichens beleuchtet seit Anfang der Sechzigerjahre die Bostoner Skyline und ist mit der Zeit zu einem dauerhaften Symbol für die Stadt geworden – und die Lieblingseinstellung vieler Hollywoodregisseure, wenn sie Luftaufnahmen von der Stadt machten. Kenmore war ein beliebtes Ziel, denn dort trafen sich drei große Durchfahrtsstraßen in einer Brutstätte aus Modeläden, angesagten Restaurants, lärmenden Bars und schicken Nachtclubs. Die Boston University befand sich nur eine Straße weiter, und der berühmte Fenway Park lag nur einen Katzensprung im Süden. Der Campus der New England School of Photography befand sich ebenfalls dort; die Wohnheime verteilten sich auf die angrenzenden Häuser. Kenmore Square gehörte zu den Epizentren der Jugendkultur, die dafür sorgten, dass Boston Jahr für Jahr zur aufregendsten Universitätsstadt des Landes gekürt wurde. In manchen Gegenden der Stadt konnte man Augenblicke der Langeweile erleben, aber niemals am Kenmore Square.
Die Wartezeit für einen freien Tisch betrug eine halbe Stunde, also ließen wir uns vormerken und beschlossen, noch einen kleinen Spaziergang die Commonwealth Avenue entlang zu machen. Der Wind wehte in Böen, und eine leichte Jacke genügte nicht mehr, um sich gegen die fallenden Temperaturen zu schützen. Es war das perfekte Wetter für einen flotten Spaziergang über die von hohen Bäumen und alten Holzbänken gesäumte Fußgängerallee, die von antiken Straßenlampen beleuchtet wurde.
»Und was möchtest du in deinem Leben so machen?«, fragte ich. Eine Pferdekutsche rollte mit dem rhythmischen Pochen der Hufe auf dem Pflaster an uns vorbei.
»Ich möchte in diesem Jahr so gute Noten bekommen, dass ich ein Stipendium für eine der großen Universitäten erhalte«, sagte sie.
»Und danach?«
»Das werde ich dir nicht erzählen.«
»Warum nicht?«
»Weil du mich dann auslachst.«
»Ich werde nicht lachen. Pfadfinderehrenwort.«
Sie blieb stehen und schaute mich an. »Warst du wirklich Pfadfinder?«
»Nein, aber ein paar meiner Freunde, also muss ich mich immer noch an mein Ehrenwort halten. Also sag es ruhig. Ich werde nicht lachen, versprochen.«
Sie schmiegte sich unter meinen Arm, und wir spazierten weiter. Wir kamen an den abgeschirmten Stadthäusern einiger der reichsten Familien Bostons vorbei; durch die hohen, verglasten Türen konnte ich die riesigen Kronleuchter sehen, die in den frisch gestrichenen Eingangshallen hingen, in denen Portiers auf ihren Posten bereit standen.
»Ich wette, dass alle deine Freunde weiterstudieren und Ärzte, Anwälte oder Manager werden
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