Der Geheime Orden
auf dem Buckel hatte. T-Shirts und Tank-Tops wichen groben Wollpullovern und gefütterten Jacken. Die offenen Sportwagen der Internatszöglinge würden bald von teuren Range Rovers und anderen Geländewagen verdrängt, um dem winterlichen Schnee trotzen zu können. Es war nicht mehr lang bis zum offiziellen Start der Footballsaison, und das hieß, dass Tausende von Ehemaligen auf den Campus zurückkehren und lange Nachmittage bei trunkenen Parkplatz-Picknicks rund um das Stadion verbringen würden. Und wenn das Spiel vorbei war, würden sie den Memory Walk herunterspazieren, über den Campus wandern und sich darüber unterhalten, was sich geändert hatte, seit sie Studenten gewesen waren. Mich hatte immer schon das Entsetzen gepackt bei der Vorstellung, eines Tages wie ein ausgestopfter Gigant aus der Wirtschaftswelt in meinem großen, schicken Mercedes auf dem Campus vorzufahren, den Karo-Pulli lässig um den Hals geknotet, als wäre ich auf dem Weg zu einem verdammten Rasentennismatch. Sie schienen ständig auf irgendein Gebäude oder Haus zu deuten, während sie mit ihrem ersten Universitätsfick um die Wette prahlten. Jeden Abend betete ich zu Gott, dass ich niemals wie sie werden möge. Und wenn doch, sollte irgendein Student den Kanal von meinem verlogenen Geschwafel voll bekommen und mich windelweich prügeln.
Ich betrat den Brattle Square, den Kreisverkehr, der wegen seiner Nähe zum ein Stück nördlich gelegenen Harvard Square weitgehend vom Rest der Welt ignoriert wurde. Der Platz war zum Leben erwacht. Straßenmusiker bliesen in blecherne Hörner und zupften akustische Gitarren zur Freude der Passanten, die Münzen, gelegentlich auch eine Dollarnote in die offenen Instrumentenkästen warfen. Eine neue Truppe guatemaltekischer Einwanderer verkaufte illegal farbenfrohe Wollpullover, die auf dem Bürgersteig auf einem zerrissenen Bettlaken ausgelegt waren. Für einen Bruchteil dessen, was es in einem der örtlichen Fachgeschäfte gekostet hätte, konnten sich diejenigen, die knapp bei Kasse waren, ein bisschen Wärme für einen weiteren harten Bostoner Winter kaufen.
Die Pantomimen mit ihren silbernen Overalls und den geschminkten Gesichtern waren ein neuer Anblick auf dem Platz. Erstarrt standen sie auf ihren Stühlen, wie der dünne Mann im Zauberer von Oz, und warteten auf das Klingen der Münzen in ihren Schalen, bevor sie sich roboterartig in Bewegung setzten. Die Kinder liebten diese Nummer und leerten die Geldbörsen ihrer Mütter.
Bertuccio’s, das berühmte italienische Restaurant, erfüllte die frische Luft mit den reichen Düften von frisch gebackenem Brot und scharfen Saucen. Wie üblich reichte die Schlange der hungrigen Kunden durch die Tür hinaus und noch ein Stück den Bürgersteig hinunter, als wäre es das letzte Restaurant der Welt. Mein Magen fing an zu knurren, als ich an eine Calzone mit Schinken und Käse denken musste, also ließ ich die hektische Aktivität des Platzes schnell hinter mir und betrat die friedliche, baumgesäumte Wohngegend an der Brattle Street. Riesige Häuser neigten sich über verschlafene Baumwipfel und warfen lange Schatten auf die ruhige, dunkle Straße. Es war das erste Mal, dass ich durch diesen Teil von Cambridge ging, was vor allem daran lag, dass ich nie einen hinreichenden Grund dafür gehabt hatte. Diese Villen waren groß und stattlich, verglichen mit den kleinen, engen Mehrfamilienhäusern in anderen Ecken der Stadt. Mit ausgedehnten Rasenflächen vor und wallenden Gärten hinter sich hielten sie einen komfortablen Abstand zur Straße; hohe Ahornbäume und schmiedeeiserne Zäune sorgten für Ungestörtheit. Europäische Autos mit etlichen Universitäts- und Privatschulaufklebern an den Heckscheiben parkten auf ihren Kieseinfahrten.
Nach vierhundert Metern erblickte ich ein riesiges gelbes Herrenhaus. Es lag an der rechten Straßenseite, etwa fünfzig Meter zurück. Je näher ich kam, desto größer sah es aus. Ein Schild am Tor verkündete, dass es der ehemalige Wohnsitz des berühmten Dichters Henry Wadsworth Longfellow sowie George Washingtons zu Beginn des Unabhängigkeitskrieges war. Nunmehr war es ein historisches Wahrzeichen, zugänglich für öffentliche Besichtigungstouren. Es war Brattle Street 105, was bedeutete, dass das Gebäude, das ich suchte, zwei Häuser weiter auf der linken Straßenseite lag.
Ich wandte mich in die entsprechende Richtung. Aus den Fenstern des obersten Stockwerks strahlten Lichter hinaus in die Dunkelheit. Ich
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