Der Geheime Orden
konnte nicht das ganze Haus sehen, aber nach dem, was ich von seinem Umriss erahnen konnte, musste es riesig sein. Mein Herz hämmerte, als ich die Straße überquerte und mich der Grenze des Grundstücks näherte. Durch die sorgfältig getrimmten Hecken, die es zur Straße hin abschirmten, konnte ich eine Reihe von Scheinwerfern auf dem Rasen erkennen, die das graue Sandsteingebäude in gedämpftes Licht tauchten. Ein schwarzer, schmiedeeiserner Zaun wand sich um das Grundstück, und am Ende des Zufahrtsweges standen zwei bronzene Marmorstatuen, die den verheißungsvollen Eingang bewachten. Die mächtigen weißen Säulen reichten bis zum Dach hinauf, und schon bei einem kurzen Blick hatte ich sieben Schornsteine gezählt. Eine riesige Aktskulptur mit einem Blumenkranz um den Sockel bildete das Zentrum eines Springbrunnens, den man in dieser Form eher vor einer mediterranen Villa erwartet hätte.
Als ich näher trat, konnte ich beobachten, wie Autos in die Zufahrt einbogen. BMWs und Porsches spien Gruppen von drei oder vier Jungs aus, allesamt in marineblauen Jacken mit Goldknöpfen und Krawatten, die zur Eingangstür hinaufgingen. Ich blieb einen Augenblick stehen, um ihnen genug Zeit zu lassen, die Zufahrt so weit hinunterzugehen, dass sie mich nicht bemerkten. Ich machte mir nur selten Gedanken darüber, was ich hatte oder nicht hatte, doch mir entging nicht, dass diejenigen, mit denen ich hier um eine der begehrten Mitgliedschaften konkurrieren würde, in Luxusschlitten vor fuhren, während ich in einem Paar Florsheim-Schuhe erschien, das bereits vier Mal neu besohlt und so oft gewichst worden war, dass die weißen Nähte schwarz geworden waren. Ich vergewisserte mich, dass die restlichen Kandidaten außer Sicht und die Luft auch sonst rein war, bevor ich mich auf den langen Zufahrtsweg begab. Ich richtete meine Krawatte, knöpfte mein Jackett zu und holte noch einmal tief Luft. Alle guten Ratschläge Daltons schwirrten mir im Kopf herum. Diskutiere nicht über Politik, Religion oder Geld. Sei nicht vorlaut. Mehr zuhören, weniger reden. Mach dich nicht zum Narren, indem du zu viel trinkst.
Ich drückte auf die Klingel neben den massiven Flügeltüren und räusperte mich. Sekunden später starrte ich einen schlanken, älteren Herrn an, der eine schwarze Hornbrille auf seiner gebogenen Nase trug. Sein schwarzes Samtjackett und die gestreiften Samthosen verliehen dem Empfang in diesem prächtigen Haus die gebührende Feierlichkeit. Die milchweißen Handschuhe des Mannes erinnerten mich an Alfred, den Butler aus Batman und Robin. Ich wartete nur darauf, dass er sagte: »Willkommen in Wayne Manor.«
Stattdessen sagte er: »Guten Abend. Was kann ich für Sie tun?« Seine Augenbrauen wanderten hinauf bis zum Haaransatz. Er sah zwar wie ein Amerikaner aus, doch sein Akzent war ausgeprägt britisch.
»Ich komme wegen der Cocktailparty«, sagte ich, zog die Einladung aus der Tasche und reichte sie ihm.
Mein Magen zog sich zusammen, als der Mann stutzte, mich von oben bis unten musterte und schließlich die Einladung nahm. Nachdem er sie gründlich inspiziert hatte, reichte er sie mir zurück, trat zur Seite und vollführte mit dem Arm eine einladende Geste.
»Die Party hat im westlichen Salon bereits begonnen. Bitte, treten Sie ein, Master Collins.«
4
Langsam legte ich den Kopf zurück, bis ich das kathedralenhafte Gewölbe über dem Foyer aus Marmor und Granit mit einem Blick erfassen konnte. Eine unheimliche Kopie von Michelangelos Sixtinischer Kapelle war auf die kleinen Steinplatten gemalt worden. Die breiteste Treppe, die ich je im Leben gesehen hatte – abgesehen von der in der Widener-Bibliothek –, führte hinauf auf einen langen Balkon. Unter der gewölbten Decke hing ein riesiger Kronleuchter an einer Kette, die lang und dick genug war, um als Ankerkette zu dienen.
»Ihren Mantel, bitte«, sagte der Butler mit gebeugtem Kopf und ausgestrecktem Arm. Ich reichte ihm meinen Mantel auf eine Weise, die den Riss im Innenfutter, den nähen zu lassen ich mir nicht leisten konnte, vor seinen Blicken verbarg.
»Wenn Sie bitte dieser Richtung folgen würden«, sagte er und zeigte den langen Korridor hinunter, an dessen Ende sich ein spärlich beleuchteter Raum befand, den man von hier aus kaum erkennen konnte. »Mr. Jacobs hat sich bereits zu den Partygästen gesellt.«
Ich wagte mich den langen Gang hinunter, wobei ich an großen Gemälden in barocken Goldrahmen vorbeikam. Meine bescheidenen Kenntnisse
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