Der Geheime Orden
sagte LaValle und zeigte auf ein großes Lederbuch auf einem Tisch.
»Die Bar ist ganz hinten, und es gehen Diener mit Hors d’Oeuvres und Champagner herum«, sagte Emmerson. »Mr. Jacobs ist heute Abend unser Gastgeber. Er ist eines unserer graduierten Mitglieder. Du solltest auf jeden Fall ein paar Worte mit ihm wechseln, bevor der Abend vorbei ist.«
»Vergiss den Basketball und amüsier dich heute Abend mal richtig«, sagte Brimmer. »Hier dürften ein paar gute Jungs versammelt sein.«
»Ja, sicher«, sagte ich und ging zu dem aufgeschlagenen Gästebuch. Bevor ich mich eintrug, überflog ich rasch die Liste der Unterschriften in der Hoffnung, ein paar Namen wiederzuerkennen. Die Hälfte war unleserlich, und von denen, die ich entziffern konnte, kam mir keiner bekannt vor. Ich kritzelte etwas unter den letzten Namen und fragte mich, ob ich damit vielleicht eine Spur hinterließ, die mich eines Tages noch teuer zu stehen kommen würde. Dann atmete ich tief durch und betrat den verrauchten Saal.
Bei einer ersten Erkundung zählte ich etwa fünfzig Jungs in Zweier- und Dreiergruppen. Der Saal war so riesig, dass auch ein paar hundert hineingepasst hätten. Ich bewegte mich an der Peripherie und hielt Ausschau nach einem bekannten Gesicht oder einen einladenden Lächeln. Nichts. Ich suchte Trost bei meiner Armbanduhr. Es war erst zwanzig nach sieben, was bedeutete, dass noch genug Zeit blieb, dass Leute eintrafen, die ich kannte.
Ich zog mich in eine Ecke zurück, von der aus ich den kunstvoll gestalteten Saal betrachten konnte. Die riesigen Ölgemälde in ihren reich verzierten Rahmen und die glänzenden Marmorskulpturen sorgten für einen musealen Charakter. Zur Linken gab es hohe Fenstertüren, die von dicken blauen Samtvorhängen umrahmt wurden. Sie führten auf eine Terrasse, von der aus man über weitere Stufen zu einem langen Swimmingpool gelangte, der für den Winter abgedeckt war. Draußen konnte ich die gestikulierenden Silhouetten zweier Männer erkennen, die sich mit Zigaretten in den Händen unterhielten.
An der rechten Wand standen ein paar Jungs neben dem gemauerten Marmorkamin und rauchten lange, schwarze Zigarren. Es war das erste Mal, dass ich jemanden in meinem Alter Zigarre rauchen sah. Wo ich herkam, rauchten die jungen Burschen Zigaretten, Marihuana und eine lange Reihe anderer verbotener Substanzen, während die alten Männer Stumpen pafften. Aber ich sollte bald begreifen, dass das meiste, was ich an diesem Abend erleben würde, weniger mit der Wirklichkeit meiner kleinen Welt zu tun hatte als mit dem Hang zur Selbstdarstellung und dem ungeheuren Reichtum von Menschen, deren Herkunft vollkommen anders war als die meine. Eine zehn Mann starke Jazzband in alten Smokings und mit grauenhaften Frisuren hatte sich in der gegenüberliegenden Ecke des Saals aufgestellt und spielte seichte Hintergrundmusik, die sich mit dem belanglosen Geplapper vermischte. Uniformierte Diener gingen mit länglichen Silbertabletts umher, auf denen sich Kristallkelche mit prickelndem Champagner drängten. Ich fühlte mich an die ausgelassenen Partys der Zwanzigerjahre erinnert, von denen ich in Fitzgeralds Der Große Gatsby gelesen hatte. Das Einzige, was noch fehlte, waren die Frauen mit ihren ausgefallenen Hüten, den ellenbogenlangen Handschuhen und schlanken Zigaretten mit zentimeterlanger Asche.
Während ich die Geräusche, Gesichter und Gerüche in mich aufnahm, fragte ich mich, was ich hier eigentlich wollte. Unsere Lebenswelten konnten unterschiedlicher nicht sein. Ich kam aus einer Gemeinde mit baufälligen Mietskasernen, aufgerissenen Bürgersteigen und gelegentlichen Bandenkriegen. Diese Menschen hier wurden auf abgeschirmten Anwesen in exklusiven Vorstädten verwöhnt und verbrachten lange Sonnabendnachmittage in zugigen Museen, während ich in Nahverkehrsbussen Süßigkeiten verkaufte. Doch ich wusste: Wenn der heutige Abend ein Erfolg werden sollte, mussten wir diese Unterschiede vergessen, aufgeschlossen bleiben und die wenigen Dinge entdecken, die uns trotz unserer grundverschiedenen Erfahrungswelten gemeinsam waren.
Mitten in dem Tumult, der an der Bar herrschte, bemerkte ich eine zierliche Frau mittleren Alters, auf die von allen Seiten Bestellungen herunterprasselten. Mir entging nicht die Ironie der Situation, als ich sie dabei beobachtete, wie sie herumwirbelte, einem Vogel beim Vogelschießen gleich. Frauen durften die Clubs nicht betreten, es sei denn als Bedienstete. Die Feministinnen
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