Der Geheime Orden
braunfleckigen Seiten. Hin und wieder hielt ich inne, um eine paar Worte zu lesen und die Altertümlichkeit der Schriftart zu bestaunen. Obwohl die Seiten gedruckt waren, sahen die Worte wie von einem Kalligraphen geschrieben aus. Ich blätterte zügig bis zu den Fünfhunderterseiten, bevor ich mich langsam den fehlenden Seiten näherte. Ich las Seite 544 und blätterte um. Wie erwartet, gelangte ich auf Seite 547, doch was mich überraschte, war der Zustand des Papierstreifens, der von dem herausgeschnittenen Blatt übrig geblieben war, das vorne die Seite 545 und hinten die Seite 546 trug. Es sah ganz und gar nicht so aus, als wäre das Blatt herausgerissen worden, was eine zackige Kante hinterlassen hätte. Stattdessen schien es, als wäre das Blatt sorgfältig mit einer Rasierklinge herausgeschnitten worden. Als ich den Überrest berührte, schloss ich die Augen und dachte an die Fotokopien, die ich in Davenports Büro gesehen hatte. Abstrahieren. Innerhalb weniger Stunden hatte ich eine ganze Seite voller Notizen und ein paar Puzzleteile mehr in der Hand. Irgendwie war das Buch aus König Jakobs I. Bibliothek in die Hände von Lawrence Waters Jenkins gekommen, dessen Beziehung zu Harvard noch eine offene Frage war.
Egal, in welche Richtung mich die Indizien führten, ich kam immer wieder auf die zentrale Frage zurück. Was gab es auf diesen zwei Seiten, das jemanden dazu veranlasste, eines der kostbarsten Bücher Harvards zu verunstalten? Schließlich konnten dieselben Worte in allen anderen sieben erhaltenen Exemplaren nachgelesen werden. Vielleicht gab es auf diesen zwei Seiten einen Druckfehler, und jemand hatte sie gestohlen, um den Fehler zu vertuschen. Aber diese Erklärung schien zu kurz gedacht für eine Tat, die solche schwerwiegenden Konsequenzen nach sich zog. Ich versuchte, mich in den Kopf des Diebes zu versetzen. Es musste auf diesen Seiten etwas geben, das der Dieb unbedingt vor allen anderen Menschen geheim halten wollte. War es ein verschlüsselter Wegweiser zu einem verborgenen Schatz oder eher ein Geheimnis, das für immer unentdeckt bleiben sollte? Ich ertrank in einem bodenlosen See der Möglichkeiten.
»Tut mir Leid, aber ich muss die Ausgabe von 1604 jetzt wieder mitnehmen. Die zwei Stunden sind um.«
Ich blickte auf und sah Thomas Forde hinter mir stehen. Dann schaute ich auf die Uhr. Es waren auf die Minute genau zwei Stunden.
»Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen, bevor Sie das Buch zurückbringen?«, wollte ich von ihm wissen.
»Selbstverständlich.«
»Ich glaube, ich kenne den Namen der Person, die dieses Buch gestiftet hat. Aber wie kann ich mich vergewissern, dass es tatsächlich diese Person war?«
Forde schlug das Buch auf. »Nun, diesem Exlibris zufolge hat das Buch irgendwann einem gewissen Lawrence Jenkins gehört«, sagte er. »Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass er derjenige war, der das Buch gestiftet hat. In solchen Fällen müssen wir die Akzessionslisten finden und nachsehen, was dort steht.«
»Welche Art von Informationen findet sich in solchen Listen?«
»Kommt darauf an. Manche Einträge sind sehr detailliert, während andere eher oberflächlich sind. Es hängt in der Regel davon ab, wann das Buch gestiftet wurde und wer die Akquisition dokumentiert hat. Leider hatten wir damals keine Computer, sodass für einige der älteren Exemplare in unserer Sammlung die Daten entweder verloren oder verlegt sind.«
Oder gestohlen, dachte ich im Stillen. »Könnten Sie nicht einfach den Namen Lawrence Jenkins in eine der alten Datenbanken eingeben und nachsehen, ob er der Stifter war?«, fragte ich. »Wenn er so ein wichtiges Buch gestiftet hat, dann nehme ich doch an, dass seine Schenkung ausführlich dokumentiert worden ist.«
»Wenn es so einfach wäre«, sagte Forde mit einem Lächeln. »Manchmal bewahren wir die Akten zu einer Schenkung auf, aber je nachdem, wie lange eine Schenkung zurückliegt, können die Akten entweder im Archiv vergraben sein, oder wir haben sie gar nicht. Manchmal können wir Informationen über den Stifter anhand der Akzessionsnummer oder des Standortkatalogs ermitteln.« Er studierte die Innenseite des Buchdeckels. »Ah, hier haben wir ja schon eine unserer Antworten. Diese handgeschriebene Nummer bedeutet, dass es von einem Bibliothekar der Widener-Bibliothek katalogisiert worden ist. Das ist ihre Methode, die Bücher zu kennzeichnen. Damit wissen wir zumindest, dass das Buch vor der Eröffnung dieser Bibliothek im Jahre
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