Der Geheime Orden
war schlechterdings unmöglich. Wenn man mich dabei erwischte, wie ich Dalton nach oben schmuggelte, würde man mich hinauswerfen. Doch als ich an Erasmus Abbott dachte, wurde mir klar, dass dies meine geringste Sorge sein dürfte.
Ich zog eine Kopie des Gedichts aus dem Rucksack und starrte auf die fünf Zeilen. Was war daran so wichtig für die Altehrwürdigen Neun? Gab es irgendeine Verbindung zum Glaubensbekenntnis? Dann erinnerte ich mich, wie Reverend Campbell gesagt hatte, dass Davenport oft in seine deutsche Heimat reiste. Wusste Davenport die Antwort? Ich griff nach dem Telefonhörer und rief in seinem Büro an. Nach einer halben Ewigkeit meldete sich schließlich sein Anrufbeantworter, und ich hinterließ eine Nachricht mit der Frage, ob er jemals von einem Waldorf in Deutschland gehört hatte, und ob es vielleicht eine berühmte Familie gab, die ihre Wurzeln in diesem kleinen Dorf am Rhein hatte. Dann drehte ich mich zum Fenster und schlief ein, während ich die Schneeflocken zählte, die auf dem Glas zerschmolzen.
In der folgenden Nacht um zwei Uhr traf ich mich mit Dalton am Ausgang der Linden Street. Wir trugen dunkle Trainingsanzüge und schwarze Wollmützen, die wir bis auf die Augen heruntergezogen hatten. Wir liefen bis zum Delphic Club und gingen den Weg zum Dienstboteneingang hinunter. Ich hatte eine professionelle Taschenlampe mitgebracht – eine Leihgabe von unserer Hausverwaltung –, und Dalton hatte zwei Kerzen und Streichhölzer dabei, falls die Batterien uns im Stich ließen.
Ich schloss die quietschende Tür zum hinteren Flur auf. Sobald wir drin waren, tippte ich den Alarmcode in die Tastatur. Über knarzende Fußbodendielen arbeiteten wir uns durch den Flur voran, durch die Küche und über die Hintertreppe in den zweiten Stock. Das Haus war leer, also bewegten wir uns schnell durch die dunklen Flure und geräumigen Zimmer bis in die Bibliothek. Ich schloss die Tür hinter uns und klemmte zur Sicherheit einen der Stühle unter die Klinke.
»Wo ist das Licht?«, fragte Dalton und tastete die Wand ab.
»Bist du verrückt?« Ich stieß seinen Arm weg. »Wenn wir das Licht einschalten, und in irgendeinem anderen Teil des Hauses hält sich ein Mitglied auf, könnten sie uns hier oben bemerken! Das Bibliotheksfenster geht direkt auf den Hof hinaus.«
Dalton zündete die langen Kerzen an, deren Flammen zitterten, wenn der Wind gegen die klappernden Fensterscheiben schlug. »Als du diesen Raum untersucht hast, hast du da auch hinter die Bücher geschaut?«, fragte er. »Wenn sie weder die Tür noch die Fenster benutzt haben, müssen sie durch eine Öffnung in der Decke oder in den Wänden gekommen sein.«
»Ich habe mir kein einziges Buch angesehen«, sagte ich. »Ich war einfach nur schockiert, wie sie verschwanden und wieder auftauchten und dass der Raum anschließend aussah, als wäre nie jemand hier gewesen.«
»Ich werde oben anfangen, während du hier unten beginnst«, sagte Dalton. »Wir suchen ein Buch, das mit Deutschland zu tun hat oder dessen Autor die Initialen RMS hat. Wir müssen jeden Titel sorgfältig lesen. Sie werden es uns nicht einfach machen.«
Für die nächsten zwei Stunden zogen wir Bücher aus den Regalen, sahen sie uns an, schauten zwischen den Seiten nach und stellten die Bände wieder zurück, nachdem wir die Wand dahinter nach Geheimfächern oder verborgenen Türen abgetastet hatten. Von früher russischer Literatur bis zu französischen Revolutions gedichten – unsere müden Augen und erlahmenden Arme erfüllten treu ihre Aufgabe. Nachdem wir die Hälfte der Regale durchgearbeitet und immer nochnichts gefunden hatten, einigten wir uns darauf, eine Pause auf dem Sofa in der Mitte des Raums einzulegen.
Wir saßen da und fühlten uns wie Verlierer, während wir stumm in die Dunkelheit starrten. Die Stille wurde nur gelegentlich durch das Rauschen der Bäume im pfeifenden Wind unterbrochen. Und da sah ich es. Ich war mir nicht sicher, bis ich die Taschenlampe auf das Gemälde gerichtet hatte.
»Was tust du da?«, fragte Dalton.
»Mir nach«, sagte ich, stand auf und ging zum Kamin.
Als wir vor dem Porträt standen, sagte Dalton: »Warum starrst du dieses alte Porträt so an?«
»Weißt du, wer das ist?«
»Keine Ahnung, interessiert mich auch nicht. Wir müssen noch mehrere tausend Bücher durchsehen, und in ein paar Stunden geht die Sonne auf. Ein altes Porträt interessiert mich einen Dreck.«
»Das ist John Jacob Astor IV.«, sagte ich. »Er war
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