Der Geheime Orden
Abbotts Verschwinden stehe in direktem Zusammenhang mit seinem Plan, in diesen sagenumwobenen Raum einzubrechen. Laut der Aussage eines Studenten namens …
Das war alles. Der Rest des Artikels war abgeschnitten worden.
»Was ist mit dem Rest passiert?«, fragte ich.
Dalton zuckte mit den Schultern. »Das ist eines unserer Probleme. Ich nehme an, er ist nach all den Jahren zu Staub zerfallen oder jemand hat ihn absichtlich abgeschnitten.«
»Es erscheint zu perfekt für einen Zufall, dass es gerade an dieser Stelle passiert ist«, sagte ich. »Das ist wirklich unheimlich.« Ich gab den Artikel vorsichtig an Dalton zurück.
»Da fragt man sich, was wirklich vorgefallen ist«, sagte Dalton.
»War dein Onkel hier, als es passierte?«, fragte ich.
»Nein. Er kam erst 1932 nach Harvard, fünf Jahre später. Aber ich habe den Familienstammbaum studiert. Sein älterer Bruder Cyrus war damals Student.«
»War er auch Mitglied des Delphic?«
»Ja, der zweite Winthrop, der dem Gas angehörte. Milton war der Erste. Er war Kommilitone von JP Morgan.«
»Du glaubst, Onkel Cyrus hat den Artikel an Onkel Randolph weitergegeben?«
»Möglicherweise.«
»Und glaubst du auch, dass dieser Abbott tatsächlich in der Nacht ums Leben gekommen ist, als er versucht hat, ins Clubhaus des Delphic einzubrechen?«
Dalton zog die Schulten hoch. »Mich würde gar nichts mehr überraschen.«
»Es muss doch eine Möglichkeit geben, mehr über die Geschehnisse von damals herauszufinden.«
»Genau das ist der Grund, warum wir jetzt in die Widener-Bibliothek gehen werden«, sagte Dalton. »Wenn wir einige dieser alten Zeitungen auf Mikrofilm finden, können wir vielleicht ein paar Teile mehr zu einem Bild zusammenfügen.«
»Aber wir wissen nicht einmal, aus welcher Zeitung der Artikel stammt«, sagte ich.
»Nein, aber damals gab es bestimmt nicht viele Zeitungen in Boston. Entweder war es eine Universitätszeitung oder ein Lokalblatt. Das dürfte nicht allzu schwer herauszufinden sein.«
»Wann willst du in die Widener gehen?«
»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«, sagte Dalton mit einem Lächeln.
»Die Bibliothek schließt um zehn.«
»Dann haben wir noch fast zwei Stunden, wenn wir uns beeilen.«
»Du glaubst wirklich, an der Sache könnte etwas dran sein?«
»Ich weiß es nicht. Aber es muss einen guten Grund dafür geben, dass Onkel Randolph diesen Artikel über fünfzig Jahre lang zusammen mit dem Hosenband in dieser Kiste versteckt hat.«
»Und du glaubst, dass sie einen anderen Studenten ermorden würden, nur weil er versucht, in diesen Raum zu kommen?«
Dalton hielt das Hosenband hoch. »Ich glaube, sie würden alles tun, um die Bruderschaft zu beschützen.«
6
Der Wind heulte, als wir uns durch die Dunst Street auf den Yard zu bewegten. Die Bostoner Herbstabende waren so kalt wie der tiefste Winter in anderen Teilen des Landes. Die nackten Bäume warfen ihre langen Schatten auf den gefrorenen Boden, während tapfere und entschlossene Fußgänger ihre Hände in wollgefütterten Taschen vergruben, ihre Köpfe in enge Mützen gesteckt hatten und ihre Gesichter hinter gestrickten Schals verbargen. Nur wenige Worte wurden zwischen diesen einsamen Freunden der Nacht gewechselt, denn ihre Blicke waren auf den Boden gerichtet, die Reißverschlüsse ihrer Jacken bis über die Wangen zugezogen, und der Klang ihrer Schritte entfernte sich zusehends in Richtung wärmerer Gefilde.
Wir betraten den Yard durch das Holyoke-Tor und gingen an der Boylston Hall entlang. Ein paar Erstsemester warfen sich in einer kleinen Ecke vor dem Wadsworth gegenseitig einen Football zu und griffen den Ballführenden spielerisch an. Obgleich es streng verboten war, auf dem Yard Fahrrad zu fahren, fühlten sich einige durch die Dunkelheit ermutigt und radelten die Pfade entlang, die kreuz und quer über die rechteckige Rasenfläche führten.
»Roz Minter wohnt dort drüben im Weld«, sagte Dalton, als wir an dem dunklen Wohnheim in der Südostecke des Yards vorüberkamen.
Roz Minter, die neu eingeschriebene Volleyballspielerin aus Santa Barbara, Kalifornien, war Gesprächsthema Nummer eins auf dem Campus. Sie war geschlagene eins dreiundachtzig groß, von umwerfender Schönheit und der Grund dafür, dass die Hälfte der höheren Semester einen Umweg über den Yard machte, weil jeder hoffte, einen Blick auf Roz Miller erhaschen zu können. Ich war ihr einmal beim Training begegnet und hatte mich sofort
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