Der Geheime Orden
Gebäude herum zum Lieferanteneingang. Nachdem ich mehrere Minuten lang gegen die Tür gehämmert und einen Obdachlosen aufgeschreckt hatte, der unter der Feuertreppe in der Einfahrt schlief, öffnete endlich jemand die Tür. Ein stämmiges Mädchen mit schwarzen Locken und so dicken Brillengläsern, dass sie wahrscheinlich kugelsicher waren, starrte zu mir herauf.
»Wir haben geschlossen«, verkündete sie mit nasaler Stimme. »Komm morgen früh noch mal wieder.«
Sie wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, doch ich streckte die Hand aus und hinderte sie daran. Ich kannte sie aus meinem Musik- und Gedichtseminar. Sie war dieses nervtötende Mädchen, das Professor Rothmans Fragen stets richtig beantwortete, nachdem wir anderen uns allesamt blamiert hatten.
»Du bist auch in Rothmans Musik- und Gedichtseminar«, sagte ich. »Erste Reihe. Dritter Platz von rechts. Du hast einen roten Mantel.«
»Stimmt.« Sie lächelte. Ich wünschte, sie hätte es nicht getan. Ihre Zähne waren lang und krumm, als hätten ihre Eltern sie sich von jemand anders ausgeliehen und sie mit einer Zange in ihre zahnlosen Kiefern geklemmt.
»Ich heiße Spencer«, sagte ich. »Und du?«
»Gertrude Stromberger, Abschlussjahrgang 92.«
Ihr Name war fast so hässlich wie sie. »Gertrude, ich hatte eigentlich gehofft, dass du mir aus einer kleinen Klemme helfen könntest. Ich muss etwas sehr Dringendes fertig stellen, und die Antwort, die mir fehlt, finde ich wahrscheinlich hier im Crimson.«
»Wonach suchst du denn?«
»Ich brauche die gebundenen Ausgaben von 1927.«
»Weißt du das genaue Datum?«
»Halloween.«
Stromberger schaute auf die Uhr. »Tja, ich kann dir wirklich nicht allzu viel helfen, aber ich kann dir die gebundenen Ausgaben zeigen. Du kannst sie ja selbst durchsehen. Ich habe noch drei Artikel, die ich bis Mitternacht redigieren muss, und ich bin ganz allein hier.« Sie trat zur Seite und ließ mich ein.
»Du hast was gut bei mir, Gertrude«, sagte ich. »Zeig mir einfach, wo es langgeht, den Rest erledige ich alleine.« Wer hätte das gedacht. Ausgerechnet die kleine, kauzige Gertrude Stromberger war der Rettungsengel, den ich brauchte.
Sie führte mich einen kurzen Flur hinunter und in ein kleines Büro, in dem sich die Zeitungen fast bis zur Decke türmten. In der Mitte des Zimmers standen sich zwei Stahlschreibtische gegenüber. Abgesehen von zwei Harvard-Kaffeebechern, die Batterien von Bleistiften und Kugelschreibern enthielten, waren beide leer. Neben dem Telefon lagen ein paar abgestoßene Spiralblöcke.
»Du kannst es dir hier gemütlich machen«, sagte sie. »Ich gehe ins Archiv und hole den Band von 1927.«
Während ich dasaß und auf Gertrude Stromberger mit den schrecklichen Zähnen wartete, fragte ich mich, wie weit Dalton wohl gekommen sein mochte. Es wäre ein echter Coup, wenn wir den Artikel entdeckten, sodass wir uns eine Vorstellung machen könnten, was sich an seinem Ende befand – etwas, von dem irgendjemand offensichtlich nicht wollte, dass jemand anders es sah. Diese ganze Angelegenheit wurde von Minute zu Minute verrückter; ein mit Diamanten besticktes Hosenband, ein alter Artikel über einen verschwundenen Studenten und die immer wahrscheinlichere Möglichkeit, dass neun Männer, über die Welt verstreut, Mitglieder eines geheimen Ordens waren, der in einem Haus aus der Jahrhundertwende nur wenige Meter von hier eines der ältesten Geheimnisse Harvards hütete. Würden wir Harvards Heiligem Gral wirklich ein Stück näher kommen, wenn wir das Rätsel um das Verschwinden von Erasmus Abbott lösen konnten?
»Dann viel Spaß, Spencer«, sagte Stromberger und legte einen dicken Wälzer vor mir auf den Tisch. »Sei vorsichtig beim Umblättern. Die Seiten sind ziemlich brüchig, und das Konservierungsmittel, das damals benutzt wurde, war nicht so gut wie die Mittel von heute. Wenn du noch etwas brauchst, findest du mich im Redaktionsraum.«
»Gibt es einen Fotokopierer, den ich benutzen kann?«, fragte ich.
»Klar, hinter der zweiten Tür rechts. Aber sei vorsichtig beim Kopieren, dass du die Buchrücken nicht zerbrichst. Das würde den Chefredakteur in den Wahnsinn treiben.«
Stromberger kehrte zu ihren Artikeln zurück, und ich stürzte mich auf die archivierten Zeitungen. Zuerst blätterte ich zur Halloweenausgabe. Die Schlagzeile war nicht gerade ein Kracher: Neue Methoden bei der Suche nach Erz. Der Artikel handelte von fortgeschrittenen Studenten der ingenieurwissenschaftlichen
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