Der Geheime Orden
Universität bereits Gelder gespendet, mit denen ein nach ihrem Sohn benannter Stiftungslehrstuhl eingerichtet werden soll.
Ein Gedächtnisgottesdienst ist für den 4. April, Abbotts zwanzigsten Geburtstag, um 12 Uhr in der Appleton Chapel angesetzt.
Ich fotokopierte den Artikel und lieferte das Buch wieder bei Stromberger ab, die im Stuhl saß und die Beine hochgelegt hatte, während sie an einem ihrer Kaffeebecher schlürfte. Ihre Augen waren dunkel und eingesunken, ihr Haar glanzlos und zerzaust. Sie sah aus, als wäre sie gerade aus einem Krieg heimgekehrt.
»Hast du ihn gefunden?«, fragte sie.
»Wo du gesagt hast«, antwortete ich. »Vielen Dank für deine Hilfe.«
»Und was war mit dem Studenten passiert?«
»Das steht nicht drin. Er ist einfach verschwunden, und schließlich wurde er für tot erklärt.«
»Ganz schön unheimlich. Wurde seine Leiche jemals gefunden?«
»Darüber stand auch nichts drin. Anscheinend wurde die Akte geschlossen, und alle kehrten in den Alltagstrott zurück. In den späteren Ausgaben findet sich kein einziger Hinweis darauf, was passiert sein könnte.«
Stromberger starrte an die Decke. »Den Fall eines vermissten Harvardstudenten nach sechzig Jahren wieder neu aufnehmen«, sagte sie. »Klingt nach einem guten Artikel.«
Das erinnerte mich an Kelton Dunhill, der in einem der Artikel erwähnt worden war. »Habt ihr ein Alumniverzeichnis hier?«, fragte ich.
»Soll das ein Witz sein? Du kannst hier keine fünf Schritte gehen, ohne über eines zu stolpern. Diese Dinger sind Gold wert. Wir rufen ununterbrochen irgendwelche Alumni an und werben um Spenden. Du findest hier wahrscheinlich zehn Verzeichnisse, ohne erst suchen zu müssen. Direkt da vorne, rechts neben dem Computer auf dem Schreibtisch da.« Sie deutete in eine Ecke des Raums.
»Steht da auch drin, ob die Alumni noch leben?«, fragte ich.
»Da steht alles drin. Ihr Abschlussjahr, ihre letzte bekannte Adresse, ihre Telefonnummer, wenn es eine gibt, und das Todesjahr bei denen, die gestorben sind.«
Ich hatte eine Eingebung, die ich nicht ignorieren konnte, also ging ich in die Ecke hinüber und blätterte durch das dicke Verzeichnis, bis ich den Abschlussjahrgang von 1930 fand. Fast alle Namen waren mit einem Kreuz versehen, und am Ende des Eintrags stand das Todesdatum, außer bei Kelton Dunhill. Er lebte in der Seniorenresidenz Thompson in Miami, Florida. Es gab sogar eine Telefonnummer, unter der man ihn erreichen konnte.
8
»Wo hast du gesteckt?« Dalton war am anderen Ende der Leitung und stellte die Elastizität meines Trommelfells auf die Probe.
»Ich bin gerade erst vom Crimson nach Hause gekommen«, sagte ich und schaute auf die Uhr auf meinem Nachttisch. Es war kurz nach eins. Mir war gar nicht bewusst, dass es bereits so spät gewesen war, als ich Stromberger verlassen hatte. Wir mussten uns über eine Stunde lang unterhalten haben. Es stellte sich heraus, dass sie um Längen cooler war, als sie aussah, und man konnte entspannt über Sport und Filme mit ihr reden. Sie fand es ebenfalls merkwürdig, dass der Crimson nicht mehr Artikel über das Verschwinden von Erasmus Abbott gebracht hatte.
»Ich versuche seit über zwei Stunden, dich anzurufen«, sagte Dalton. »Ich hab den verdammten Artikel gefunden und bin dabei fast meinen Studentenausweis losgeworden, aber das ist eine andere Geschichte.«
»Jemand hat mich von der Widener-Bibliothek bis zum Crimson verfolgt«, sagte ich.
»Warum sollte jemand das tun? Leidest du an Verfolgungswahn?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich. »Er ist mir erst aus dem Yard heraus gefolgt. Ich ging ich zur Täuschung in Richtung Square, und er beschattete mich von der andern Straßenseite aus. Ich drehte um und ging wieder in Richtung Crimson, und da war er dicht hinter mir. Und als ich in die Plympton Street einbog, stand er ein paar Sekunden später auf der anderen Straßenseite. Der Typ hat mich ganz sicher verfolgt.«
»Konntest du einen Blick auf ihn werfen?«
»Nicht richtig. Er war ziemlich weit weg, und ich hatte mich hinter einem Müllcontainer versteckt. Aber ich konnte erkennen, dass er ein hochgewachsener Weißer in einem langen Trenchcoat war. Er trug eine dieser schlotterigen Fischermützen.«
»Hat er gesehen, wo du dich versteckt hast?«
»Ich glaube nicht. Er schaute erst die Straße hinauf und hinunter und beobachtete dann den Crimson. Nach ein paar Minuten holte er einen Notizblock aus der Tasche und schrieb etwas auf. Dann wandte
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