Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geheime Orden

Der Geheime Orden

Titel: Der Geheime Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Smith
Vom Netzwerk:
Spiegelbild. Er ging nicht mehr als drei Meter hinter mir, und ich konnte erkennen, wie er seine Hände in den Manteltaschen vergrub.
    Was aber meine Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch nahm, war seine zerbeulte Fischermütze. Niemand würde einen solchen Hut mitten in einer eiskalten Bostoner Nacht tragen. Dicke Wollmützen und schwere Schals waren die typischen Accessoires jener, die die unnachgiebigen Temperaturen Neuenglands gewohnt waren.
    Ich überquerte die Linden Street und ging weiter die Massachusetts Avenue entlang. Ich passierte erst den Harvard Bookstore, dann Mr. und Mrs. Bartleys, eine Ikone des Harvard Square, die seit Anfang der Sechziger die tollsten Burger und Limettencocktails von Cambridge servierte. Ich tat so, als würde ich in das Fenster des Restaurants schauen – und da sah ich ihn wieder, wie er mich in immer noch komfortablem Abstand, aber hartnäckig verfolgte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mir vorzustellen versuchte, wer dieser Mann sein könnte und was ihn bewogen haben mochte, mich zu beschatten. Ich überlegte, ob ich mich nicht umdrehen und ihn stellen sollte, doch ich wusste nicht, was ich ihm dann sagen sollte. Er könnte schlichtweg alles leugnen, mich wie einen Idioten aussehen lassen und weitergehen. Also beschloss ich, die endgültige Bestätigung abzuwarten und zu schauen, was er machte, wenn ich in die Plympton Street einbog.
    Ich legte wieder einen Schritt zu, bis ich beinahe trabte, und bog nach rechts in die Plympton Street ab, eine dunkle, enge Gasse, die zum Hearst Castle führte. Sobald ich um die Ecke war, sprintete ich los, so schnell ich konnte. Das Gebäude des Crimson war nicht allzu weit entfernt auf der linken Seite der Straße. In wenigen Sekunden hatte ich den Parkplatz erreicht. Ich entdeckte einen großen Müllcontainer neben dem Gebäude und versteckte mich in seinem Schatten. Kaum hatte ich mich in meiner Deckung hingekauert, als ich ihn sah. Er konnte sich nicht recht entscheiden, ob er gehen oder laufen sollte, wie jemand, der unbedingt den Eindruck vermeiden wollte, es eilig zu haben. Als er direkt gegenüber dem Crimson war, blieb er stehen. Es war schwierig, einzelne Züge seines Ge sichts auszumachen, da er die Fischermütze tief über seine Augen gezogen hatte, doch ich konnte immerhin erkennen, dass er ein schlanker Weißer mit ausgeprägtem Unterkiefer war. Von seiner Brille sah ich nur den unteren Rand eines rechteckigen Metallgestells. Er blieb mehrere Minuten lang dort stehen und schaute die Straße hinauf und hinunter, bevor er sich auf den Crimson konzentrierte. Hätte ich mir nicht sicher sein können, dass mich hier im Schatten niemand sah – ich wäre überzeugt gewesen, dass er mich gesehen hatte. Er zog etwas aus der Tasche, das wie ein Notizblock aussah, und schrieb schnell etwas darauf. Dann warf er einen letzten Blick in meine Richtung, bevor er sich umdrehte, zur Straße zurückmarschierte und verschwand.
    Ich blieb noch ein paar Minuten in meinem Versteck, nicht nur um sicherzugehen, dass er wirklich weg war, sondern auch um meine Atmung zu beruhigen. Der Schweiß floss nur so unter meiner Jacke, und während mein Puls sich wieder verlangsamte, ließ ich den Kopf gegen die Hauswand zurücksinken und die kalte Brise über meine Haut streichen. Schließlich stand ich auf und ging zum Vordereingang. Ich war noch nie im Crimson gewesen, und ich kannte auch keinen der Studenten, die für ihn arbeiteten, aber ich kannte seine ruhmreiche Geschichte, die nicht nur ein Teil der Geschichte Harvards, sondern auch des Journalismus war. Der Crimson war schon immer eine der renommiertesten Studentenzeitungen des Landes gewesen und behauptete seinen Rang als älteste täglich erscheinende Universitätszeitung. Das Who is Who des Journalismus bestand aus seinen ehemaligen Reportern und Redakteuren, und nicht nur Pulitzerpreisträger hatten in seinen Diensten gestanden, sondern auch zwei Präsidenten: Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy. Nur an einem Ort wie Harvard konnte es schwieriger sein, in die Redaktion einer Studentenzeitung zu gelangen als in eine der Uni-Sportmannschaften. Seinen Namen ins Impressum des Crimson zu bekommen war so, wie ein zweites Mal in Harvard angenommen zu werden.
    Das Gebäude sah aus wie hundert andere Harvardgebäude – rote Ziegel, kastenförmig und hohe Fenster mit weiß gestrichenen Rahmen und Streben. Die Eingangshalle lag im Dunkeln, und die Tür war abgeschlossen, also ging ich um das

Weitere Kostenlose Bücher