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Der Geheime Orden

Der Geheime Orden

Titel: Der Geheime Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Smith
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machen. Wir waren von den starren Regeln des akademischen Lebens befreit und konnten es uns erlauben, mehr aus uns herauszugehen. Es war die Chance, sich wie ganz normale Leute zu fühlen und Fehler zu begehen, ohne scharfe Kritik befürchten zu müssen.
    Die Busse bogen schließlich von der Hauptstraße ab und setzten ihre Fahrt über die schmalen Landstraßen von Massachusetts fort. Wir waren erst zwanzig Minuten unterwegs gewesen, doch der dramatische Wechsel der Szenerie konnte einen glauben machen, dass wir bereits Tausende Kilometer von Cambridge entfernt wären. Das farbenfrohe Laub zeigte den Wechsel der Jahreszeiten an, als wir durch die malerischen Städtchen mit ihren verwitterten Häusern und ausgedehnten Vorgärten fuhren. Unschuldige Kinder tollten mit ihren Hunden herum und sprangen in Laubhaufen, während die Eltern an den Häusern arbeiteten und ihre Sprösslinge aus der Ferne beaufsichtigten.
    Es gab keine Taxis oder Nahverkehrsbusse oder U-Bahnstationen. Stattdessen wurden die Straßen von Kombiwagen mit Holzleisten an den Seiten beherrscht, von alten Volvos mit verblassten US-Flaggen auf den Heckscheiben und von Pick-ups mit Schlamm in den tiefen Reifenprofilen. Die großen Ahornbäume an der Straße waren mit Pappschildern versehen, auf denen für kalten Apfelcider und frisch gebackenen Kuchen geworben wurde. Ich genoss die neuenglische Landschaft und war gefangen von ihrer Schlichtheit. Welch ein Unterschied zu den ausufernden Städten wie etwa Chicago, wo die Betontürme gen Himmel strebten und Kinder beim Spielen auf dem Asphalt über Glasscherben hinwegsteigen mussten. Ich konnte nur versuchen mir vorzustellen, wie es wäre, wenn man an einem so zurückgezogenen und sorgenfreien Ort lebte, wo man sein Fahrrad vor der Haustür abstellen konnte, ohne es abzuschließen, und am nächsten Morgen wäre es immer noch da.
    Es hatte etwas Surreales, in diesem lärmenden Bus voller Alkoholdunst und zotiger Sprüche durch die heiter-ländliche Idylle zu fahren. Der bedeckte graue Himmel steuerte das Seine zu einem perfekten Herbsttag bei. Wir überquerten eine alte Bahnstrecke, die neben einem vertrockneten Feld verlief. Ich folgte den schlingernden Gleisen mit Blicken, bis sie an einer Kurve hinter Bäumen verschwanden. Breite, asphaltierte Straßen wurden zu schmalen Feldwegen. Wir umfuhren einen kleinen See, auf dem ich einen alten Mann erblickte, der mit einem Hund in einem Boot saß. Seine Angelrute hing über dem Wasser, und er schmauchte an einer Pfeife. Es war das perfekte Norman-Rockwell-Motiv.
    Die Busse legten einen abrupten Halt am Straßenrand ein. »Pinkelpause«, ertönte es, und die Türen öffneten sich. Die Studenten strömten nach draußen. Ich hätte eigentlich auch gemusst, doch als ich die kleinen Häuser mit ihren gepflegten Gärten sah, brachte ich es nicht über mich. Doch da standen sie nun, mindestens fünfzig an der Zahl, am helllichten Tag, Schulter an Schulter, mit den Rücken zur Straße und die Gesichter einem kleinen, gelben Haus zugewandt. Von meinem Aussichtspunkt konnte ich die funkelnden Bögen aus Urin sehen, und ich versuchte mir vorzustellen, welcher Anblick sich aus einem der Fenster des Hauses geboten hätte. Eines der Mitglieder war mit seiner schicken, teuren Kamera auf den Hof gerannt. Das verdammte Ding sah aus, als würde es eine halbe Tonne wiegen. Er machte Schnappschüsse, und die zukünftige Elite des Landes posierte pinkelnd und mit dem Glied in der Hand. Ich fragte mich, wie viele politische Karrieren wohl ruiniert würden, wenn diese Fotos in vielen Jahren auf mysteriöse Weise wieder auftauchen sollten.
    Nachdem der Vorgarten gedüngt worden war und alle sich abgeklatscht hatten, wurden die Busse wieder beladen, und wir fuhren weiter die leeren Straßen entlang. Der Alkohol begann allmählich zu wirken, und die Kotzerei ging los, mal zwischen die Sitze, mal durch die Fenster nach draußen, wo es auf entgegenkommenden Autos landete. Mario nahm den Blick nicht von der Straße, während er den langen Bus durch die engen Kurven manövrierte. Nach weiteren zehn Minuten bogen wir schließlich in einen schmalen unbefestigten Weg ab. Es waren keine Häuser zu sehen, nur etliche Morgen fruchtbaren Ackerlands und dichten Waldes. Die wellige Landschaft verlor sich am Horizont, und ich stellte mir vor, wie gut dieses Panorama auf eine Ansichtskarte passen würde. An der linken Straßenseite kam schließlich ein Haus in Sicht. Es war ein riesiges weißes

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