Der geheime Stern
frisch manikürten Hand glitzerte der Ehering, den sie immer trug, obwohl sie mit ihrem Mann schon seit Jahren nicht mehr teilte als den Namen. Daneben prangte der eckige Saphir von ihrem aktuellen Liebhaber.
“Ich bezweifle doch sehr, dass Melissa ohne Gepäck in dein Haus gekommen ist, Grace. Ich will ihre Sachen haben. Alles. Du sollst nichts von ihr behalten.”
“Ich wollte noch nie etwas von ihr haben, Tante Helen.”
“Ach nein?” Ihre Stimme überschlug sich leicht. “Glaubst du etwa, sie hat mir nicht erzählt, dass du eine Affäre mit ihrem Mann hattest?”
Grace seufzte nur. Das Thema war neu und doch so widerwärtig vertraut. Melissas Ehe war in aller Öffentlichkeit in die Brüche gegangen, also musste ein Sündenbock her. Grace.
“Ich hatte keine Affäre mit Bobbie. Weder vor noch während noch nach der Ehe.”
“Und was glaubst du, wem ich eher glaube? Dir oder meiner eigenen Tochter?”
Grace legte lächelnd den Kopf schief. “Nun, deiner eigenen Tochter natürlich. Wem sonst?”
“Du warst schon immer verlogen und hinterhältig. Und undankbar. Ich habe die Last auf mich genommen, dich großzuziehen, und niemals ein Dankeschön dafür bekommen. Du warst vollkommen verzogen und halsstarrig, als du zu uns kamst, und das hat sich nie geändert.”
Grace spürte ein heftiges Wühlen im Bauch. Um sich zu schützen, zuckte sie lächelnd mit den Schultern, strich sich betont sorglos übers Haar. “Nein, vermutlich nicht. Ich werde einfach immer eine große Enttäuschung für dich sein, Tante Helen.”
“Wenn du nicht wärst, würde meine Tochter noch leben.”
Grace wollte ihr Herz zwingen, taub zu werden, doch es schmerzte und brannte. “Ja, da hast du wohl recht.”
“Ich habe sie vor dir gewarnt, habe ihr immer wieder gesagt, was für ein Mensch du bist. Aber du hast sie nie in Ruhe gelassen, hast ihre Zuneigung schamlos ausgenutzt.”
“Zuneigung, Tante Helen?” Mit halbem Lachen presste Grace einen Finger an die pochende Schläfe. “Nicht einmal du kannst glauben, dass sie jemals so etwas wie Zuneigung für mich empfunden hat. Schließlich warst du ihr Vorbild.”
“Wie kannst du so von ihr sprechen, nachdem du sie umgebracht hast?” Helens Augen funkelten vor Hass. “Dein ganzes Leben lang warst du eifersüchtig auf Melissa und hast mit allen Mitteln versucht, sie zu beeinflussen. Und jetzt hat dein rücksichtsloser Lebensstil sie umgebracht. Wieder einmal hast du nichts als Schande über unseren Namen gebracht.”
Grace versteifte sich. Hier ging es nicht um Schmerz. Vielleicht lag der irgendwo vergraben, aber was im Moment über ihr ausgeschüttet wurde, war nichts als pure Gehässigkeit. Und sie war es leid. “Darum geht es im Grunde, nicht wahr, Tante Helen? Um den Namen Fontaine. Um den Ruf der Familie. Und natürlich um das Aktienpaket. Dein Kind ist tot, aber was dich wirklich wütend macht, ist der Skandal.”
Sie empfing die Ohrfeige, ohne auch nur zusammenzuzucken. “Und das halte ich für ein angemessenes Ende unserer Beziehung. Ich lasse dir Melissas Sachen so schnell wie möglich zukommen.”
“Ich möchte, dass du von hier verschwindest.” Helens Stimme bebte zum ersten Mal – ob vor Wut oder Trauer, vermochte Grace nicht zu sagen. “Du gehörst nicht hierher.”
“Und du hast schon wieder recht. Ich habe nie hierher gehört.”
Als Grace aus dem Zimmer trat, stand Seth vor ihr. Ihre Blicke trafen sich. Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten und wollte es auch nicht, stattdessen lief sie einfach an ihm vorbei.
Der Nieselregen war beruhigend. Nach der künstlich gekühlten Luft und dem schweren Duft der Blumen genoss sie die feuchte Hitze. Ihre Absätze klapperten auf dem nassen Asphalt, als sie über den Parkplatz zu ihrem Auto lief. Gerade als sie in der Tasche nach dem Schlüssel wühlte, legte Seth ihr eine Hand auf die Schulter.
Zunächst sagte er nichts, drehte sie nur zu sich herum und sah ihr prüfend ins Gesicht. Sie war kreidebleich – von dem roten Abdruck der Hand auf ihrer Wange abgesehen. Ihre Augen glänzten verräterisch. Er konnte spüren, wie sie zitterte.
“Sie hat unrecht.”
Sie ruckte mit der Schulter, doch er ließ die Hand fest auf ihr ruhen.
“Ist das vielleicht Teil Ihrer Ermittlungstaktik, Lieutenant? Private Gespräche zu belauschen?”
Ob sie wohl merkte, wie heiser ihre Stimme klang, wie verzweifelt ihre Augen blickten? So gern hätte er den roten Fleck auf ihrer Wange gekühlt, ihn zum
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