Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Kartik schubst mich zur Seite, ist wie eine Ka t ze mit einem Satz auf der Brüstung und durchs Fenster hinaus. Ich sehe das Seil, das er mit einer Schlinge an e i nem kleinen Haken an der Wand befestigt hat. Es ist in dichtem Efeugestrüpp ve r steckt, sodass es kaum zu sehen ist. Schlau, aber nicht perfekt. Genauso wenig wie er selbst.
Ich schließe das Fenster hinter ihm, drücke meinen Mund an das Glas und beobachte, wie die Scheibe mit j e dem meiner lautlosen Worte beschlägt. »Du kannst den Rakschana eine Nachricht von mir überbringen, Botscha f ter Kartik. Das war meine Mutter heute, dort im Wald. Und ich werde sie finden, ob du mir hilfst oder nicht.«
12. Kapitel
D e r nächste Tag ist grau und stürmisch, aber Miss Moore hält ihr Versprechen und wir machen am Nachmittag einen Ausflug zu der Höhle. Es ist ein strammer Marsch durch den Wald, am Bootshaus und dem Weiher vorbei und an einer tiefen Schlucht entlang. Ann stolpert auf dem losen Geröll und wäre fast hinuntergestürzt.
»Vorsicht«, sagt Miss Moore. »Diese Schlucht ist t ü ckisch. Tut sich aus dem Nichts auf und dann fällt man hinein und bricht sich den Hals.«
Über eine schmale Brücke gelangen wir auf der anderen Seite der Schlucht an einen Platz, wo sich die Bäume zu einer kreisrunden Lichtung öffnen. Ich halte den Atem an. Es ist derselbe Platz, zu dem mich das kleine Mädchen g e führt hat, als ich Mary Dowds Tagebuch gefunden habe. Die Höhle liegt vor uns, unter einem mit Schlingpflanzen überwucherten Felsvorsprung verborgen. Die Ranken ki t zeln unsere Arme, während wir uns durch den Pflanze n vorhang einen Weg in die samtschwarze Finsternis bahnen. Miss Moore zündet die Laternen an, die wir mitg e bracht haben, und die Höhlenwände tanzen in der plötzli ch au f flammen d en Helligkeit. Über Jahrta u sende hat der Regen den Felsen an manchen Stellen auf Hochglanz poliert, s o dass ich in seiner zerklüft e ten Oberfläche ein zerbrochenes Bild von mir erhasche –ein Auge, e i nen Mund, noch ein Auge, eine Komposition aus Teilen, die nicht zusamme n passen.
»Wir sind da.« Miss Moores tiefe, melodische Stimme hallt von den Höhlenwänden wider. »Die Felszeichnungen sind gleich da drüben, an dieser Wand.«
Sie leuchtet voraus in einen großen, offenen Raum. Wir alle folgen mit unseren Laternen und die Zeichnungen werden im flackernden Licht erschreckend lebendig, bri n gen einen kostbaren Schatz zum Vorschein.
»Sie sind ziemlich grob, findet ihr nicht?«, sagt Ann, die den rohen Umriss einer Schlange betrachtet. Ich muss s o fort an ihre ordentliche, faltenlos eing e steckte Bettdecke denken.
»Sie sind primitiv, Ann. Die Menschen in diesen Höhlen haben mit den Dingen gezeichnet und g e malt, die ihnen zur Verfügung standen –mit scharfen Felsbrocken, notdürft i gen Messern, einem Klecks Lehm oder Farbstoff. Manc h mal sogar mit Blut.«
»Wie ekelhaft!« Pippa natürlich, wer sonst. Ich sehe vor mir, wie sie ihre kecke kleine Nase vor A b scheu rümpft.
Felicity lacht und sagt im Ton einer Frau von Welt: »Meine Liebe, die Bryn-Jones lassen gerade in ihrem Wohnzimmer ein wundervolles Wandgemälde mit mensc h lichem Blut malen. So etwas müssen wir unbedingt auch haben!«
»Ich finde es widerlich«, sagt Pippa. Ich vermute alle r dings, dass sie mehr darüber schockiert ist, dass Felicity mich z ur Verbündeten erkoren hat, als über die Erwähnung von Blut.
»Blut wurde für kultische Darstellungen verwe n det oder als Tribut an eine Göttin, deren Gunst man erlangen wollte. Da.« Miss Moore zeigt auf eine blassrote Zeichnung, die wie Pfeil und Bogen aussieht. »Die sind für Diana b e stimmt, die römische Göttin des Mondes und der Jagd. Sie galt als die Schutzpatronin der Mädchen. Die Hüterin der Keuschheit.«
Felicity stößt mich hart in die Rippen. Wir alle hüsteln und scharren mit den Füßen, um unsere Ve r legenheit zu verbergen. Miss Moore fährt unbeirrt fort.
»Das Bemerkenswerte an dieser Höhle ist, dass es hier Darstellungen verschiedenster heidnischer Gö t tinnen gibt. Nicht nur der römischen, sondern auch der nordischen, der germanischen und keltischen. Sehr wahrscheinlich zog di e ser Ort immer wieder weise Frauen an, die gehört hatten, dass sie sich hier ungestört ihren magischen Künsten hi n geben kon n ten.«
»Magie?«, fragt Elizabeth. »Waren das Hexen?«
»Nicht, was wir unter Hexen verstehen. Es waren weise Frauen und Heilerinnen, die mit Pflanzen und Kräutern
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