Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Blut über Anns rote Wangen. Im Gegenzug wischt Ann mit ihren blut i gen Fingern über Pippas Porzellanhaut.
»Beeil dich. Mir wird gleich schlecht. Ich spür ’ s«, wimmert Pippa.
Schließlich bin ich an der Reihe. Die scharfe Spi t ze des Monds schwebt über meinem Finger. Ich e r innere mich an den Schnipsel eines Traums –ein Sturm, meine Mutter, die schreit, meine Hand, offen, verletzt.
»Komm schon«, drängt Felicity. »Sag nicht, dass ich es auch für dich machen muss.«
»Nein«, sage ich und stoße die Mondsichel in meinen Fin g er. Schmerz schießt meinen Arm hoch, ein leises Stöhnen entschlüpft meinen Lippen. Der kleine Schnitt bl u tet sofort. Mein Finger brennt, wä h rend ich ihn sacht über Felicitys seidenweiche Wa n gen ziehe.
Da stehen wir nun alle, frisch getauft im Kerze n licht.
»So«, sagt Felicity, indem sie uns der Reihe nach a n sieht. »Und jetzt reicht eure Hände her.« Sie streckt ihre Hand aus und wir legen unsere Handfl ä chen übereinander darauf. »Wir schwören, einander Treue zu bewahren, die Riten unseres Ordens geheim zu halten, den Geschmack der Freiheit zu kosten und keinen Verrat zu dulden. Von niemandem.« Bei di e sen Worten schaut sie mich an. »Das hier ist unsere Kultstätte. Und solange wir hier sind, wollen wir nur die Wahrheit sagen. Schwört es.«
»Wir schwören.«
Felicity stellt eine Kerze in die Mitte. »Möge jede von uns über dieser Kerze ihren Herzenswunsch o f fenbaren, damit er in Erfüllung gehe.«
Pippa nimmt die Kerze und sagt feierlich: »Wahre Liebe zu finden.«
»Das ist Unsinn«, sagt Ann und will die Kerze an Felic i ty weitergeben, die sie zurückweist.
»Dein Herzenswunsch, Ann«, sagt sie.
Ann sieht uns nicht an, als sie sagt: »Schön zu sein.«
Felicity nimmt die Kerze. Ihr Griff ist fest, ihre Stimme entschieden. »Ich wünsche mir, so mächtig zu sein, dass sich niemand meiner Macht entziehen kann.«
Plötzlich ist die Kerze in meiner Hand, heißes Wachs tropft a n den Seiten herunter und brennt auf meiner Haut, bevor es erstarrt. Was ist mein He r zenswunsch? Sie wollen die Wahrheit hören, aber alles was in letzter Zeit passiert ist, verwirrt mich so sehr, dass ich mich selbst nicht mehr kenne.
»Mich selbst zu verstehen.«
Das scheint zufriedenstellend, denn Felicity stimmt ein Bittgebet an: »O große Göttinnen an diesen Wänden, e r füllt uns unsere Herzenswünsche.« Ein Windhauch weht durch den Eingang der Höhle herein, bläst die Kerze aus und raubt uns den Atem.
»Ich glaube, sie haben uns gehört«, flüstere ich.
Pippa legt ihre Hände an den Mund. »Es ist ein Ze i chen.«
Felicity lässt ein letztes Mal die Flasche herumgehen und wir trinken. »Es scheint, als hätten uns die Göttinnen geantwortet. Auf unser neues Leben. Auf das erste Treffen des Ordens des aufgehenden Mondes. Lasst uns zurückg e hen, solange unsere Kerzen brennen.«
14. Kapitel
A m nächsten Morgen, in Mademoiselle LeFarges Franz ö sischstunde, bin ich buch stäblich eine Leiche. Die Nac h wirkungen des Whiskeys sind teuflisch. Das Dröhnen in meinem Kopf lässt keinen M o ment nach und das Frühstück –trockener Toast mit Ora n genmarmelade –möchte am liebsten wieder aus me i nem Magen heraus.
Ich werde nie, nie wieder Whiskey trinken. Von jetzt an gibt es nur noch Sherry.
Pippa sieht genauso elend aus wie ich. Ann scheint wohlauf zu sein – allerdings habe ich den Verdacht, dass sie beim Trinken geschummelt hat. Das sollte ich mir fürs nächste Mal vielleicht merken. Abgesehen von den Scha t ten unter ihren Augen scheint Fel i city den langen Abend gut überstanden zu haben.
Elizabeth bemerkt mein ramponiertes Aussehen und runzelt die Stirn. »Was ist denn mit der los?«, fragt sie und versucht damit, sich bei Felicity und Pippa wieder einz u schmeicheln. Ich bin neugierig, ob sie anbeißen werden, bereit, die Freundschaft der vergangenen Nacht zu verge s sen und Ann und mich wieder links liegen zu lassen.
»Bedaure, aber wir können die Geheimnisse uns e res Zirkels nicht preisgeben«, sagt Felicity, indem sie mir e i nen ve r stohlenen Blick zuwirft.
Elizabeth wendet sich schmollend ab und flüstert Martha etwas ins Ohr, die dazu nickt. Cecily gibt j e doch nicht so leicht auf.
»Fee, bitte sei nicht gleich eingeschnappt«, sagt sie h o nigsüß. »Ich habe im Schreibwarenladen neues Briefpapier gekauft. Sollen wir heute Abend gemei n sam Briefe nach Hause schreiben?«
»Tut mir leid, aber ich habe schon was
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