Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
vor«, antwortet Felicity kurz angebunden.
»Wenn das so ist.« Cecily presst ihre dünnen Li p pen aufeinander. Sie würde die perfekte Pfarrersfrau abgeben, mit dieser tödlichen Kombination aus Selbstgerechtigkeit und einer Prise Unversöhnlic h keit. Wenn mir nicht so elend zumute wäre, würde ich mich noch ein bisschen mehr über die Abfuhr freuen, die sie bekommen hat. Ein Rülpser en t schlüpft mir, sehr zum Entsetzen aller, aber jetzt fü h le ich mich besser.
Martha wedelt mit der Hand vor ihrer Nase. »Du riechst wie eine Schnapsbrennerei.«
Cecily hebt neugierig ihren Kopf hoch. Sie und Felicity sehen sich an, Auge in Auge – Felicitys Blick ist hart, wä h rend um Cecilys Mundwinkel ein kleines, boshaftes L ä cheln zuckt. Mademoiselle LeFarge stürmt ins Klasse n zimmer und sprudelt franz ö sische Worte hervor, die mich schwindlig machen. Sie gibt uns fünfzehn Sätze auf, die wir in unsere Hefte übersetzen sollen. Cecily faltet ihre Hände vor sich auf dem Pult.
»Verzeihen Sie, Mademoiselle LeFarge …«
»En fran ç ais ! «
»Excusez-moi, Mademoiselle, aber ich glaube, Miss Doyle fühlt sich nicht wohl.« Cecily wirft Felicity einen tr i umphierenden Blick zu, als mich M a demoiselle LeFarge zum Lehrerpult ruft, um mich näher in Augenschein zu nehmen.
»Sie sehen ein wenig mitgenommen aus, Miss Doyle.« Sie schnuppert und spricht mit leiser, ernster Stimme zu mir. »Miss Doyle, haben Sie Alkohol zu sich genommen?«
Das Kratzen der Federn hinter mir verlangsamt sich. Ich weiß nicht, was intensiver ist –der Whiskey, der aus me i nen Poren dringt, oder der Geruch der Angst im Raum.
»Nein, Mademoiselle. Bloß zu viel Orangenma r melade zum Frühstück«, sage ich mit einem reum ü tigen Lächeln. »Ich habe eine Schwäche für Ora n genmarmelade.«
Sie schnuppert wieder, wie um sich zu überze u gen, dass ihre Nase sie getäuscht hat. »Nun gut, Sie können sich se t zen.«
Mit zitternden Knien gehe ich zu meinem Pult zurück, schaue dabei nur einmal kurz auf und sehe, wie Felicity von einem Ohr bis zum anderen grinst. Cec i ly blickt drein, als könnte sie mich mit Wonne im Schlaf erwürgen. Ve r stohlen steckt mir Felicity einen Zettel zu. Ich dachte, du bist erledigt.
Ich kritzle zurück: Das dachte ich auch. Ich fühle mich wie gerädert. Wie geht ’ s deinem Kopf? Pippa sieht das heimliche Hin und Her von zusammeng e faltetem Papier. Sie verrenkt sich den Hals, um das Geschriebene zu lesen und zu erfah r en, ob es dabei womöglich um sie geht. Fel i city schirmt die Bo t schaft mit ihrer Hand ab. Widerwillig widmet Pippa sich wieder ihrer Aufgabe, nicht ohne mir vorher noch einen bitterbösen Blick aus ihren veilche n blauen Augen zuzuwerfen.
Flugs reicht mir Felicity den Zettel wieder he r über, aber diesmal hebt Mademoiselle LeFarge den Kopf. »Was ist dort hinten im Gange?«
»Nichts«, sagen Felicity und ich wie aus einem Mund, was unzweifelhaft darauf schließen lässt, dass tatsächlich etwas im Gange ist.
»Ich werde die heutige Stunde nicht wiederholen, ich erwarte also, dass Sie es nicht leichtfertig unte r lassen, alles mitzuschreiben.«
»Bien s û r, Mademoiselle«, sagt Felicity, ganz französ i scher Charme und strahlendes Lächeln.
Als Mademoiselle ihren Kopf wieder gesenkt hat, falte ich den Zettel auseinander, den mir Felicity g e geben hat. Wir treffen uns heute nach Mitternacht wieder. Treue zum Orden des aufgehenden Mondes !
Ich seufze innerlich beim Gedanken an eine weit e re schlaflose Nacht. Mein Bett mit seiner warmen wollenen Decke ist verlockender als eine Einladung zum Tee bei e i nem Herzog. Aber ich weiß schon, dass ich heute Nacht wieder durch den Wald schle i chen werde, getrieben von der Neugier, mehr über die Geheimnisse des Tagebuchs zu erfahren.
Als ich den Kopf wende, sehe ich, wie Pippa einen eig e nen Zettel zu Felicity hinüberschickt. Ich gestehe es mir nur ungern ein, aber ich möchte für mein Leben gern wi s sen, was d araufsteht. Ein ärgerlicher, gehässiger Ausdruck huscht über Felicitys Gesicht, weicht jedoch ebenso rasch einem schmallippigen Lächeln. Überraschenderweise an t wortet sie nicht, sondern gibt zu Pippas Entsetzen den Ze t tel an mich weiter. Ausgerechnet jetzt steht Mademo i selle LeFarge auf und kommt den Gang zwischen unseren Pu l ten entlang, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als den Zettel zwischen die Seiten meines Hefts zu stecken und das Lesen auf später zu ve r schieben. Nach der Stunde
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