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Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Titel: Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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mit meiner Lieblosigkeit getötet. Es ist alles meine Schuld, alles.« Meine Schluchzer gehen in einen heft i gen, keuchenden Schluckauf über. Miss Moore hält mich noch immer in ihren sicheren A r men, die mich gerade jetzt so sehr an die meiner Mutter erinnern, dass ich es kaum ertragen kann. Schließlich bin ich völlig leer g e weint, mein Gesicht ein verschwollener Ballon. Miss Moore gibt mir ihr Tasche n tuch, empfiehlt mir, mich zu schnauzen. Ich bin wieder fünf Jahre alt. Egal, wie e r wachsen ich schon zu sein gla u be, wenn ich weine, bin ich wieder fünf.
    »Danke«, sage ich und will ihr das Taschentuch zurüc k geben.
    »Behalten Sie es nur«, sagt sie diplomatisch, nach einem kurzen Blick auf das zerknautschte, eklige Ding in meiner Hand. »Miss Doyle –Gemma –, ich möchte, dass Sie mir j etzt zuhören. Sie haben Ihre Mutter nicht getötet. Jeder von uns ist von Zeit zu Zeit lieblos. Wir alle tun Dinge, von denen wir wünschten, wir könnten sie ungeschehen m a chen. Reue ist ein Teil unseres Wesens, zusammen mit vi e lem anderen. Das ändern zu wollen, ist genauso m ü ßig wie, nun, wie Wolken nachzujagen.«
    Neue Tränen laufen an meinen Wangen herunter. Miss Moore führt meine Hand mit dem Taschentuch an mein G e sicht.
    »Wird sie sich wirklich wieder erholen?«, frage ich, auf Pippa blickend.
    »Ja. Obwohl es sie vermutlich sehr viel Kraft ko s tet, ein solches Geheimnis zu bewahren.«
    »Warum muss es denn geheim gehalten werden?«
    Miss Moore macht sich kurz an Pippas Bettdecke zu schaffen. »Wenn es bekannt würde, wäre sie nicht heirat s fähig. Man nimmt an, dass es ein Fehler im Blut ist, wie Wahnsinn. Kein Mann möchte eine Frau mit einem solchen Gebrechen.«
    Pippas seltsame Bemerkung in der Höhle fällt mir ein, dass sie verheiratet werden soll, bevor es zu spät ist. Jetzt verstehe ich, was sie damit meinte.
    »Das ist so unfair.«
    »Ja, stimmt, aber so ist der Lauf der Welt.«
    Eine Weile sitzen wir nur da und beobachten, wie Pippa atmet, wie sich ihre Bettdecke in einem tröstlichen Rhyt h mus hebt und senkt.
    »Miss Moore …«
    »Hier im Privaten dürfen Sie mich Hester ne n nen.«
    »Hester«, sage ich. Der Name fühlt sich auf me i ner Zunge verboten an. »Diese Geschichten, die Sie uns über den Orden des aufgehenden Mondes erzählt haben. Halten Sie es für möglich, dass etwas davon wahr ist?«
    »Ich halte alles für möglich.«
    »Und wenn solch eine magische Kraft existiert und man nicht weiß, ob sie gut oder schlecht ist, würden Sie sie auf jeden Fall erkunden wollen?«
    »Sie haben sich darüber eine Menge Gedanken g e macht.«
    »Es geht mir nur so durch den Kopf«, sage ich, den Blick auf meine Füße gerichtet.
    »Die Dinge sind nicht von sich aus gut oder schlecht. Wir selbst machen sie dazu, dadurch, wie wir mit ihnen umgehen. So sehe ich es jedenfalls.« Sie schaut mich mit einem rätselhaften Lächeln an. »Also, was hat es mit al l dem wirklich auf sich?«
    »Nichts«, sage ich mit brüchiger Stimme. »Bloße Ne u gier.« Sie lächelt. »Das, worüber wir in der Höhle gespr o chen haben, sollte besser unter uns bleiben. Nicht jeder ist so aufgeschlossen, und wenn es sich herumspricht, könnte es passieren, dass ich euch Mädchen nirgendwohin mehr führen kann außer in den Zeichensaal, um den ganzen Nachmittag lang fröhliche Obstschüsseln zu malen.« Sie löst eine ve r irrte Haarsträhne von meinem immer noch feuchten Gesicht und steckt sie hinter meinem Ohr fest. Sie tut das so zärtlich, so sehr wie meine Mutter, dass ich schon wieder weinen möchte.
    »Ich verstehe«, sage ich schließlich.
    Pippas Hand bewegt sich kurz. Ihre Finger greifen in die Luft. Sie macht einen langen, tiefen Atemzug, dann schläft sie wieder.
    »Glauben Sie, sie wird sich erinnern, was mit ihr g e schehen ist, wenn sie aufwacht?« Ich denke nicht an den epileptischen Anfall, sondern an das, was unmittelbar vo r her war, an die Vision.
    »Ich weiß es nicht«, sagt Miss Moore.
    Mein Magen knurrt.
    »Haben Sie heute Abend etwas gegessen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Wie wär ’ s, wenn Sie mit den anderen Mädchen zum Tee hinuntergehen? Es wird Ihnen guttun.«
    »Ja, Miss Moore.«
    »Hester.«
    »Hester.«
    Während ich die Tür schließe, spreche ich endlich ein Gebet – dass Pippa sich an nichts erinnern möge.
     

     
    Auf dem Flur begrüßen mich die vier Klassenfotos im vo l len Glanz ihrer trübseligen Gesichter. »Guten Abend, me i ne Damen«, sage ich zu ihren

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