Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Sie beim Tanzen so wenig Grazie zeigen, wird Ihre Saison vorüber sein, b e vor sie begonnen hat. Darf ich Sie daran erinnern, meine Damen, dass dies kein Spiel ist? Die Londoner Saison der Debütantinnenbälle ist eine ernste Angelegenheit.« Jemand klopft an die Tür und Mrs Nightwing entschuldigt sich, während wir auf die Füße kommen. Niemand hilft Ann. Ich halte ihr eine Hand hin. Sie nimmt sie schüchtern, ohne mich dabei anzusehen. Ihre Verlegenheit nach den Ge s tändnissen der vergangenen Nacht ist noch i m mer groß.
»Eine ernste Angelegenheit. So, so«, sage ich in dem Versuch zu scherzen, um uns die Befangenheit zu nehmen.
»Das ist nicht zum Lachen«, sagt Pippa hitzig. »Einige von uns wollen sich verbessern. Soviel ich gehört habe, wird man von dem Moment an, in dem man auf seinem ersten Ball durch die Tür tritt, schweigend klassifiziert. Ich möchte nicht, dass hi n terher über mich geklatscht wird als über dieses Mädchen, das nicht tanzen kann.«
»Entspann dich, Pippa«, sagt Felicity, während sie ihren Rock glatt streicht. »Du wirst es wunderbar machen. Du wirst nicht sitzen bleiben und als alte Jungfer in Spence versauern. Dafür wird schon Mr Bumble sorgen.«
Pippa merkt, dass alle Augen auf sie gerichtet sind. »Ich glaube nicht, dass ich gesagt habe, ich werde Mr Bumble heiraten, oder? Schließlich könnte ich auf einem Ball j e mand ganz Besonderen kenne n lernen.«
»Einen Herzog oder einen Lord«, sagt Elizabeth träum e risch. »Das würde ich mir wünschen.«
»Genau.« Pippa schenkt Felicity ein kleines überhebl i ches Lächeln.
Ein starrer Glanz tritt in Felicitys Augen. »Liebe Pip, du fängst doch nicht wieder mit dieser Fantast e rei an, oder?«
Pippa hält an ihrem Debütantinnenlächeln fest. »Was meinst du damit?«
»Das, was fortwährend auf Spinnwebflügeln durch de i nen Kopf geistert. Der Traum vom Prinzen, der nach seiner Prinzessin sucht, und rein zufällig hast du die passenden Schuhe, blank poliert, in deinem Schrank stehen.«
Pippa fällt es schwer, die Fassung zu bewahren. »Nun ja, eine Frau sollte immer nach Höherem str e ben.«
»Das ist ziemlich hoch für die Tochter eines Kau f manns.« Felicity verschränkt ihre Arme vor der Brust. Die Luft im Saal knistert. Gleich wird es zu einer Explosion kommen.
Pippas Wangen glühen. »Du bist nicht gerade in der P o sition, um Ratschläge zu erteilen, findest du nicht? Bei de i ner Familiengeschichte?«
»Was willst du damit andeuten?«, fragt Felicity kalt.
»Ich will gar nichts andeuten. Ich stelle nur fest. Meine Eltern mögen ihre Fehler haben, aber wenig s tens ist meine Mutter keine …« Sie bricht ab.
»Keine was?«, faucht Felicity.
»Ich glaube, ich höre Mrs Nightwing kommen«, sagt Ann nervös.
»Ja, könntet ihr bitte mit dieser Streiterei aufhören?« Cecily versucht Felicity wegzuziehen, aber erfolglos.
Felicity tritt näher zu Pippa. »Nein, wenn Pippa etwas über meine Familie zu sagen hat, dann möchte ich das h ö ren. Wenigstens ist deine Mutter keine was?«
Pippa strafft ihre Schultern. »Wenigstens ist meine Mu t ter keine Hure.«
Felicitys Ohrfeige hallt wie ein Gewehrschuss im Saal wider. Wir zucken bei der Heftigkeit des Knalls zusa m men. Pippas Mund ist verzerrt, ihre veilche n blauen Augen füllen sich von dem brennenden Schmerz mit Tränen.
»Das nimmst du zurück!«, sagt Felicity zwischen den Zähnen.
»Das werde ich nicht!« Pippa weint. »Du weißt, dass es stimmt. Deine Mutter ist eine Konkubine. Sie hat deinen Vater für einen Künstler verlassen. Mit dem ist sie dann nach Frankreich durchgebrannt.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch, ist es! Sie ist weggegangen und hat dich zurüc k gelassen.«
Ann und ich sind vor Schreck wie erstarrt. Cecily und Elizabeth können sich ein Grinsen kaum ve r kneifen. Diese Neuigkeit schlägt ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel und ich weiß, die Tratschereien werden von nun an kein Ende mehr nehmen. Und das alles ist Pippas Schuld.
Felicity stößt ein grausames Lachen aus. »Sie wird mich zu sich holen, wenn ich mein Examen gemacht habe. Ich werde nach Paris gehen und mich von e i nem berühmten Maler porträtieren lassen. Und dann wird ’ s dir leidtun, dass du solche Dinge gesagt hast.«
»Du glaubst immer noch, dass sie dich holen wird? Wie oft hast du sie gesehen, seit du hier bist? Ich werd ’ s dir s a gen –kein einziges Mal.«
Felicitys Augen funkeln. »Sie wird mich holen.«
»Sie hat sich nicht einmal
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