Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
sage ich , während wir durch die dreckigen Straßen stapfen.
Kartik gestattet sich ein kleines , triumphierendes L ä cheln. »Überleben ist alles.«
Kartik bleibt immer einen Schritt vor mir. Er hat den Gang eines Jägers –aufmerksam und vorsichtig. Wir g e hen eine gewundene Straße mit verfallenen Häusern en t lang und dann noch eine. Schließlich landen wir in einer kurzen Gasse und bleiben vor einem kleinen Gas t haus stehen. Wir treten an die schwere hölzerne Tür. Kartik klopft mehrmals kurz hinterei n ander. Ein rohes Guc k loch wird von innen geöffnet und ein Auge e r scheint. Das Guckloch schließt sich und wir werden eingelassen. Die Taverne ist eine dunkle Höhle , in der es nach köstl i chem Curry und Räucherwerk riecht. Große , kräftige Männer sitzen über dampfende Teller gebeugt. Ihre schmutz i gen Hände umschlingen die Bierkrüge , als seien diese der ei n zig schützenswerte Besitz. Jetzt ist mir klar , warum Kartik bisher noch nie eine Dame hierherg e führt hat. Wenn ich mich nicht täusche , bin ich die einzige hier.
»Ist es gefährlich für mich?« , flüstere ich zwischen zusa m mengebissenen Zähnen.
»Nicht mehr als für mich. Kümmern Sie sich nur um Ihre eigenen Angelegenheiten und schauen Sie niema n den an , dann passiert Ihnen nichts.«
Ein Kindermädchen , das seinen Schützlingen vor dem Ei n schlafen gruselige Märchen erzählt , könnte nicht b e ruhigender sein.
Kartik führt mich nach hinten zu einem Erker mit niedriger Balkendecke. Man hat das Gefühl , unter der Erde zu sein , wie in einem Kaninchenbau.
»Wo wollen Sie hin?« , frage ich erschrocken , als Kartik Anstalten macht zu gehen.
»Schhh!« , sagt er und legt den Finger auf die Lippen. »Ich habe eine Überraschung für Sie.«
Fein. Genau , was ich gefürchtet hatte. Ich falte meine Hände auf dem rauen Holztisch und versuche zu ve r schwinden. Im nächsten Moment kommt Kartik mit e i nem vollen Teller zurück und stellt ihn lächelnd vor mich hin. Dosa! Die dünnen , würz i gen Fladen habe ich nicht mehr gegessen , seit ich Bombay und Saritas Küche hinter mir gelassen habe. Ein Bissen und ich ve r gehe vor Seh n sucht nach der Zärtlichkeit unserer indischen Haushält e rin und nach dem Land , das zu verlassen ich nicht erwarten kon n te , ein Land , das ich vielleicht nie wiedersehen we r de.
»Das schmeckt wunderbar« , sage ich und nehme noch e i nen Bissen. »Woher kennen Sie dieses Lokal?«
»Amar hat mir davon erzählt. Der Mann , dem es g e hört , ist aus Kalkutta. Sehen Sie den Vorhang dort?« Er zeigt auf e i nen Teppich , der an der Wand hängt. »Dahi n ter ist eine Tür. Sie führt in einen geheimen Raum. Wenn Sie mich einmal brauchen sollten …«
Mir wird klar , dass er mir ein Geheimnis anvertraut. Es ist ein gutes Gefühl , Vertrauen geschenkt zu bekommen.
»Danke« , sage ich. »Vermissen Sie Indien?«
Er zuckt die Schultern. »Meine Familie sind die Ra k schana. Sie haben mich gelehrt , nur ihnen ergeben zu sein.«
»Aber erinnern Sie sich nicht , wie schön die Berge in der Dämmerung aussahen oder die Blumen , die auf dem Wasser trieben?«
»Sie klingen wie Amar« , sagt er und beißt in einen der dampfenden Fladen.
»Wie meinen Sie das?«
»Er sehnte sich von Zeit zu Zeit nach Indien. Er scherzte manchmal mit mir. › Kleiner Bruder ‹ , sagte er , › irgendwann werde ich nach Benares zurückgehen , mit einer fetten Frau und zwölf Kindern , die mich piesacken. Und wenn ich sterbe , wirst du meine Asche in den Ga n ges streuen , sodass ich nie mehr zurückkehre. ‹ «
So viel hat Kartik bisher noch nie von seinem Bruder e r zählt. Ich weiß , dass wir dringende Angelegenheiten zu b e sprechen haben , aber ich möchte mehr über ihn erfa h ren. »Und hat er … geheiratet?«
»Nein. Den Rakschana ist es verboten zu heiraten. Es wü r de uns von unserem Ziel ablenken.«
»Oh. Ich verstehe.«
Kartik nimmt noch einen Dosa und schneidet ihn in gleichmäßige Stücke. »Sobald man seinen Eid abgelegt hat , ist man bis ans Ende seines Lebens an dieses Gelü b de und an die Rakschana gebunden. Man kann sie nicht verlassen. Amar wusste das. Er ist seinem Schwur treu geblieben.«
»Hat er einen hohen Rang bekleidet?«
Ein Schatten gleitet über Kartiks unbewegliches Gesicht. »Nein. Aber er hätte es können , wenn …«
Wenn er am Leben geblieben wäre. Wenn er nicht gesto r ben wäre , als er versucht hat , meine Mutter zu b e schützen , mich zu
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