Der geheime Zirkel 02 - Circes Rueckkehr
auf der Straße eine Kutsche vorbeifährt , richtet Großmama sich ein wenig auf. Schließlich wird mir klar , dass sie auf u n sere eigene Kutsche lauscht , auf Vaters Rückkehr aus dem Klub. Vater war in letzter Zeit oft dort , besonders abends. Manchmal höre ich ihn nachts erst kurz vor So n nenaufgang nach Hause kommen.
Heute Abend ist für Großmama das Warten besonders qu ä lend. Vater hat in schrecklich schlechter Laune das Haus ve r lassen. Er beschuldigte Mrs Jones , seine Han d schuhe verloren zu haben , und zerlegte auf der Suche nach ihnen praktisch die Bibliothek , bevor Großmama die Handschuhe in seiner Ma n teltasche fand. Er verließ das Haus ohne ein Wort der En t schuldigung.
»Ich bin sicher , er wird bald da sein« , sage ich , als wi e der eine Kutsche an unserem Haus vorbeiklappert.
»Ja. Ja , natürlich« , sagt Großmama zerstreut. »Wahrschei n lich hat er nur vergessen , auf die Uhr zu sehen. Er genießt es so , in Gesellschaft und unter Menschen zu sein , nicht wahr?«
»Ja« , sage ich. Es überrascht mich , wie besorgt Gro ß mama um ihren Sohn ist. Diese Erkenntnis macht es schwieriger , sie nicht zu mögen.
»Er liebt dich mehr , als er Tom liebt , weißt du.«
Ich erschrecke so sehr , dass ich mir in den Finger steche. Ein kleiner Tropfen Blut quillt hervor.
»Es ist wahr. Oh , natürlich bedeutet ihm auch Tom viel. Aber Söhne sind für einen Mann etwas anderes , mehr eine Pflicht als ein Objekt zärtlicher Zuwendung. Du bist sein E n gel. Brich ihm nie das Herz , Gemma. Er hat schon zu viel durchgemacht. Das wäre sein Ende.«
Ich bemühe mich , nicht zu weinen , über den Nade l stich und dieses ungewollte Wissen. »Das werde ich nicht« , verspreche ich.
»Deine Stickerei macht recht hübsche Fortschritte , Lie b ling. Nur etwas kürzere Stiche um den Rand , würde ich me i nen« , sagt Großmama , als hätten wir über nichts anderes g e sprochen.
Mrs Jones tritt ein. »Bitte um Verzeihung , Mrs Doyle. Das hier wurde heute Nachmittag für Miss Doyle abgegeben. Em i ly hat es in Empfang genommen und verge s sen , es mir zu sagen.« Obwohl das Präsent eindeutig für mich bestimmt ist , ü berreicht sie Großmama die schön verpackte , mit einer rosa Schleife geschmückte Schac h tel.
Großmama liest die Karte. »Es ist von Simon Middl e ton.«
Ein Geschenk von Simon? Ich bin gespannt. In der Schac h tel ist eine zauberhafte , zarte Halskette aus lauter kleinen Amethysten. Violett , meine Lieblingsfarbe. Auf der Karte steht: Gemmen für Gemma.
»Wie hübsch« , sagt Großmama. »Mir scheint wirklich , dass Simon Middleton von dir bezaubert ist!«
Die Kette ist wunderschön , wahrscheinlich das Schön s te , was mir jemals irgendwer geschenkt hat. »Hilfst du mir bitte mit dem Verschluss?« , frage ich.
Ich nehme das Amulett meiner Mutter ab und Gro ß mama schließt die neue Halskette. Ich stürze zum Spi e gel , um mich zu betrachten. Die Edelsteine fallen reizend über meine Schlüsselbeine.
»Du musst sie morgen Abend in der Oper tragen« , em p fiehlt mir Großmama.
»Ja , das werde ich« , sage ich und beobachte , wie die Steine das Licht einfangen. Sie funkeln und glitzern , bis ich mich selbst nicht mehr wiedererkenne.
* **
Auf meinem Kopfkissen liegt eine Nachricht von Kartik: Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Sie finden mich im Stall. Es gefällt mir nicht , dass Kartik meint , er kann mein Zimmer unbefugt betreten , wann immer es ihm passt. Ich werde ihm das sagen. Es gefällt mir nicht , dass er vor mir Geheimnisse h at. Auch das werde ich ihm sagen. Aber nicht jetzt. Jetzt trage ich eine neue Halske t te von Simon. Dem gut aussehenden Simon , in dessen Augen ich nicht jemand bin , der ihm helfen kann , in der Rangordnung der Rakschana au f zusteigen , sondern ein Mädchen , dem man Edelsteine schenkt.
Ich nehme den Zettel vom Kissen hoch und tanze d a mit im Zimmer herum. Die Halskette schmiegt sich wie eine besän f tigende Hand an meine Haut. Gemmen für Gemma.
Ich werfe Kartiks Nachricht ins Feuer. Die Ränder des P a piers rollen sich ein und werden schwarz und im nächsten Moment ist es zu Asche geworden.
29. Kapitel
W enn ich wegen des Opernbesuchs heute Abend ne r vös bin , dann ist Großmama völlig aus dem Hä u schen.
»Hoffentlich sind diese Handschuhe gut genug« , sagt sie besorgt , während eine Näherin letzte Hand an mein Kleid anlegt , ein Abendkleid aus weißem Duchesse. Großmama hat meine ersten
Weitere Kostenlose Bücher